Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

Folge vier
Mutter-Kind-Turnen

Letzte Woche war hier vom Kinderturnen die Rede. Das muss präzisiert werden. Wenn man an unterschiedlichen Orten groß wird und vielerlei Leute kennen lernt, dann lernt man eine Menge über den Umgang der Geschlechter miteinander – auch in sprachlicher Hinsicht. Schnell gewöhnt man sich Zungenbrecher an wie „liebe Kommilitoninnen und Kommilitonen“, „geehrte Vikarinnen und Vikare“. Wenn man schon fast bei „liebe Mitmenschinnen und Mitmenschen“ angekommen ist, dann kommt man im wirklichen Leben an – und da ist natürlich alles ganz anders.

Das Kinderturnen heißt bei uns im Dorf nämlich gar nicht Kinderturnen. Es heißt Mutter-Kind-Turnen. Auch auf Nachfrage. Ein „Das-hieß-schon-immer-so!“ klingt mit. Ich bin irritiert und frage bei der Vereinsleitung nach und bekomme zu hören: „Das hieß schon immer so!“

Da ist also die Vorturnerin C., dazu einige Väter und einige Mütter, die mit ihrem bewegungsfreudigen Nachwuchs diese Gruppe besuchen in der Hoffnung, das Kind so müde zu toben, dass es abends endlich mal zügig einschläft.

Vorgestern waren zwei Väter da und drei Mütter und also auch fünf Kinder. C. fordert uns: „Alle Mütter machen jetzt einen groooßen Schritt nach vorne!“ Vater K. blickt mich an, ich blicke Vater K. an. Verständnis blitzt auf. Männer eben. Vater K. und ich bleiben einfach stehen. Vorturnerin C. guckt fragend, denkt grübelnd, findet die Pointe und verdreht die Augen. „Alle Mütter und alle Väter machen jetzt einen groooßen...“ Na also, geht doch.

Diese kleine Revolution endete leider schon um 16 Uhr 30, der Funke sprang nicht über. Noch nicht. Vater K. und ich arbeiten dran.

Und es gibt viel Arbeit! Vor drei oder vier Wochen saßen das Kind und ich im Wartezimmer beim Kinderarzt und lasen ein Buch. Irgendwann sind wir dran und wurden mit den Worten „Frau Kolbe, bitte!“ ins Behandlungszimmer gebeten. Erst dachte ich, meine Tochter solle alleine zur Untersuchung gehen. Entschuldigt hat sich die Sprechstundenhilfe übrigens nicht: Sie hatte ihren Fauxpas gar nicht bemerkt. Und ich habe ja auch irgendwie total feminine Züge. Zum Beispiel ein kleines Kind an der Hand.

Was stört, ist natürlich weniger die schreiende Ungerechtigkeit gegenüber uns ach so armen Vätern. Sondern die Gedankenlosigkeit, mit der – ganz zu Recht! – mehr Engagement von den Vätern erwartet, den tatsächlich engagierten Vätern jedoch mit verbaler Ignoranz begegnet wird. Ich will ja nicht vorgelassen werden beim Kinderarzt, nur weil ich ein Vater bin. Aber ernst möchte ich schon genommen werden, nicht als bunter Hund, sondern als ganz normaler Vater. Stellen Sie sich vor, meine Frau wäre mit Kind im Wartezimmer gewesen und es hätte geheißen „Herr Kolbe, bitte!“! Der Aufschrei hallte bis heute nach.

Das Kind und ich sind inzwischen ganz lässig geworden und besuchen weiterhin diverse „Mutter-Kind-Kurse“. Und wenn Vorturnerin C. beim Mutter-Kind-Turnen wieder alle Mütter auffordert, einen groooßen Schritt nach vorne zu machen, bleiben Vater K. und ich einfach wieder stehen: C. lernt das schon noch. Und alle anderen nehmen wir uns danach vor!

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