Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

Folge neun
Kindermund tut Wünsche kund

Advent. Die Zeit der leuchtenden Kinderaugen, der gestressten Elternaugen, Zeit des Glühweins und der vor lauter Vorfreude umgekippten Kakaobecher. Auf dem Dorfplatz steht ein großer Weihnachtsbaum, und am Freitag kommt der Küster mit Pferd und Wagen und dem Weihnachtsmann hinten drauf – „Nein, mein Schatz, das ist nicht der echte“. Und der verteilt dann Süßigkeiten an die Bedürftigen. Also an die bedürftigen Kinder. Als ob wir Erwachsenen nicht bedürftig wären.

Advent. Die Zeit der Vorfreude auf Weihnachten und der Wünsche. „Ich wünsche mir ein echtes Pony, ein Fahrrad mit Pedalen, ein Hochbett, ein rotes Paddelboot wie meine Patentante eines hat, eine neue Unterhose, einen Tesafilmabroller, einen Fotografierer, eine Flöte, ein Pferd, ein echtes Telefon, so welche Puzzles, einen Computer, einen echten Engel, drei Ohrringe: einen roten und einen lilanen und zwei mit Herz, Bastelsachen, einen Spielpapagei so wie du – und noch mehr.“ „Ich bin kein Papagei?!“ „Du bist ein Papagei!!“ Ich habe es immer geahnt. Warum aber eine neue Unterhose, die alte ist doch noch ganz hübsch?!

Advent. Die Zeit auch erheblich konkreter Vorstellungen, wie Weihnachten gefälligst abzulaufen hat: Unser Küster geht mit dem Weihnachtsmann einkaufen, und die Geschenke kommen dann in zehn (!) Säcke. Ausgenommen das Hochbett, weil das in keinen Sack passt – das ist sogar einer Dreijährigen klar. Und der Küster fährt die Säcke und das Hochbett dann mit Pferd und Wagen am Weihnachtstag zum Pastorat.

Klingt romantisch. Es wird sich zeigen, ob Tränen fließen, weil der Küster am Weihnachtsabend Besseres zu tun hat oder weil es nur vier Säcke mit Geschenken sind. Oder gar, weil das Hochbett sehr wohl in einen der Säcke passt, denn es ist ein kleines für das Puppenhaus. „Ich will aber ein echtes Hochbett!! Sonst bin ich stinkesauer!!“

Stinkesauer? Am letzten Wochenende hatten wir Freunde zu Besuch, mit einem Sohn, der ähnlich bestimmte Vorstellung vom Weihnachtlichen hat. Ganz besonders bestimmt ist sein ganz besonderer Wunsch: eine echte kleine Schwester – „Sonst bin ich stinkesauer!!“

Nun hat der klassische Weg zum Kind gewiss einigen Reiz (The Making of..., Sie erinnern sich) – aber bis das Kind da ist, ist der Weg lang und der Mühen sind viele, auch hätte der Knabe seinen Wunsch vor so zirka neun Monaten äußern sollen. Den liebenden Eltern kann aber geholfen werden.

Denn zur klassischen Methode gibt es verschiedene kurzfristig zu realisierende Alternativen. Beispielsweise war vor einigen Tagen in der Presse zu lesen: „Arme Eltern versteigern Baby für 230 Euro“. Der Preis geht in Ordnung, allerdings fand die Auktion in Bangladesch statt, und das ist weit weg. Doch warum in die Ferne schweifen? Auf dem Handzettel für den Eltern-Kind-Basar, der am kommenden Wochenende und ganz in der Nähe stattfindet, lesen wir „Kinder – Kleider – Spielzeug“. Kleider und Spielzeug haben unsere Freunde und ihr Knabe genug. Ich werde Ihnen berichten, ob sie die passende Weihnachtsschwester gefunden haben. Und vielleicht bekommen wir für unser Kind dort auch eine neue Unterhose.

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