Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

plus > Download

 

Folge hundertunddrei
Hosenkauf ist Vertrauenssache

Man ist ja so jung, wie man sich fühlt, ungefähr jedenfalls. Allerdings fühlt man sich schnell ziemlich alt, wenn man seinem Kind von „früher“ erzählt. Doch mitunter lässt es sich nicht vermeiden, und ganz ehrlich: Man sollte es tun, denn kleine Kinder interessieren sich für ihre Eltern, und das ist ein schönes Gefühl. Schon in wenigen Jahren wird mein Kind sich für nichts weniger interessieren als für mein früheres Leben. Oder überhaupt für mein Leben. „Oh, Papa, nicht schon wieder die Siebziger!!“

Unsere schöne Schöpfung dreht sich mitunter recht schnell. Versuchen Sie mal, sich eine Welt ohne Computer, Internet und Mobiltelefone vorzustellen! Doch doch, es gab sie mal! Und das ist noch nicht sooo lange her... Unsere Welt dreht sich so schnell, dass man fallweise mit dem Erklären kaum hinterherkommt.

Und bei der Frage, wie alt man sich als Eltern – Ältern! – fühlt, ist nicht die Zahl der kalendarischen Jahre ausschlaggebend, die zwischen heute und dem Erinnerten oder Erzählten liegt, sondern die Zahl der mit dem Erzählten provozierten Kinderfragen. Ist die Zahl der Fragen hoch oder sehr hoch, fühlen wir uns besonders alt.

Sie erinnern sich bestimmt an Otto Waalkes („Wer ist das??“). Kam Otto im Fernsehen, saß die ganze Familie davor („Gab’s das nicht auf Defaude??“). Zudem hatten meine Eltern zwei Otto-Schallplatten („Was sind ‚Schallplatten’??“), die mein Bruder („Du hast einen Bruder??“) und ich zu unserem großen Vergnügen stundenlang auf den Plattenspieler („Was ist ein ‚Plattenspieler’??“) kreisen ließen.

Nebenbei: Es ist mir heute unverständlich, wie meine Eltern uns diese Platten hören lassen konnten. Vielleicht waren wir damals nicht so fragewütig wie es mein Kind heute ist, sonst hätte man uns das doch nicht erlaubt?! Für die Einweihten unter uns: „L’Amore di Nutella“, „Der Ritter und die Jungfrau“ und vor allem natürlich „Father Bull“.

Eines der „Lieder“ aber war der „Hosenkauf“, und zu einem geflügelten Wort wurde die Zeile „Hosenkauf ist Vertrauenssache“. Selbstverständlich formuliere ich diesen Satz niemals laut, weil meine Frau schon beim Betreten einer Beinbekleidungsabteilung die Stirn runzelt und ich dann weiß, oha, den Spruch jetzt nicht, sonst gehöre ich gleich wieder zu den alternden Männern, die immer dieselben Sprüche bringen. Und das will ich natürlich nicht.

Aber neulich mussten wir feststellen, dass Hosenkauf WIRKLICH Vertrauenssache ist! Unser Kind sollte in einem der einschlägigen Klamottenketten eine neue Büx bekommen. Bis vor noch nicht allzu langer Zeit war das eine Frage des simplen Hochhaltens: Kommt die Länge hin? Ist die Farbe erträglich?

Doch seit diesem Jahr, seit diesem Kaufversuch ist alles anders. Obwohl unsere Tochter ganz normal gewachsen ist, passte sie in keine der in der Mädchenabteilung aufgebügelten Hosen rein. Die waren ALLE zu schmal geschnitten. Wie für Fünfjährige, die schon mit dem Hungern angefangen haben, weil sie oder vielmehr: weil ihre Eltern wissen, dass sie einmal eines dieser dürren Models werden wollen, die Reklame für Klamotten machen.

Ich weiß nicht, was aus Kindern wird, die so erzogen werden, dass sie in diese Hosen passen. Und deren Eltern möchte ich lieber nicht kennen lernen.

Ach ja, eine passende Hose haben wir dann doch noch gefunden. In der Jungsabteilung...

zurück