Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

Folge zehn
Weihnachten droht

Danke der Nachfrage, unsere Freunde haben auf dem Eltern-Kind-Basar den Nachwuchs nicht ergänzen können, es wurden entgegen der Vorankündigung – siehe letzte Folge – keine Kinder angeboten. Wir konnten ihnen also nur zur klassischen Methode raten, ein Vorschlag, den sie mit Fassung trugen.

Danke auch der zweiten Nachfrage, wir selbst haben auf dem Basar einige Unterhosen gewendet, aber ein wirklich schönes Exemplar war nicht dabei. Obwohl das angesichts des Zustandes damals, im Stall, möglicherweise egal ist. Mutmaßlich hat Jesus im Alter von ein paar Stunden keine Unterhose mit frischen Bob-Baumeister-Applikationen um die lütten Lenden gehabt. Eher wohl einen ollen Lappen.

Das passt dann durchaus wieder zu einigen anderen Angeboten auf dem Basar, doch auch als aktiver Christ muss man es mit der Nachfolge vielleicht nicht zu weit treiben. Vor allem nicht, wenn es sich unterhosentechnisch schon fast um ein Nachleiden handelt. Ja, mit einigen Kinder muss man Mitleid haben. Oh Gott, mit so schrecklichen Klamotten musstet ihr herumlaufen? Mit so furchtbarem Spielzeug spielen?

Auf der vorweihnachtlichen Suche nach weniger furchtbarem Spielzeug gerät man dann an Kataloge, die einem per Post in die Diele flattern oder die man fahrlässigerweise beim letzten Besuch der Post-Spielzeug-Schreibwaren-Kaffee-Filiale mitgenommen hat.

Da liegt zum Beispiel ein Lego-Katalog und zeigt uns, dass sich in der schönen Werbewelt in dreißig Jahren nichts getan hat: Der Prinzessinnen-Palast wird angepriesen als „besonderes Mädchenprodukt“. Mal abgesehen davon, dass das Wort „Mädchenprodukt“ irgendwie seltsam klingt: Wieso für Mädchen? Die Jungs spielen mit der Ritterburg und dem Piratenschiff, die Mädchen mit dem Prinzessinnen-Palast und dem rosafarbenen Spielhaus. So ist diese Welt. Ich fürchte, wir Eltern wollen es so. Wollen Sie das so?

Dabei ist es längst egal. Die neuesten Lego-Figuren haben echte falsche Haare! Legos, die man kämmen kann! Irgendwann werden sich Playmobil und Barbie und Lego zusammen tun und das ultimative Gesamtprodukt präsentieren: PlayBarGo. Und wenn den Figürchen noch der Kopf raucht, dann wissen wir, dass auch Märklin mit drin hängt.

Vorerst aber raucht uns der Kopf, Weihnachten droht konkret zu werden. Der Kakaobecher des Kindes hat einen Sprung, so oft ist er vor lauter Vorfreude schon umgefallen, und der Adventskalender zeigt mit den wenigen noch verbleibenden Beutelchen, dass die Zeit knapp geworden ist, um es milde zu formulieren. Kinderaugen leuchten spätadventlich, Elternaugen flackern verdächtig hektisch. In der einkaufswühligen Fußgängerzone in Husum stellte ein Kind die Frage, weshalb es an Weihnachten Geschenke bekomme, obwohl das doch der Geburtstag von Jesus sei. „Halt’s Maul“, antwortete die Mutter. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Dem ist einiges hinzuzufügen. Der geschilderte Moment ist einer der Momente, an dem aus dem Flackern Panik wird und der Kakaobecher endgültig zu Bruch geht. Seltsamerweise ist das aber gleichzeitig auch genau der Moment, an dem alles neu werden kann, weil Weihnachten eben so ganz anders ist. Das erkennen wir dann hinter der billigen Schokolade vom Weihnachtsmarkt, dem doofen Prinzessinnen-Palast und unserer eigenen Hektik.

Es ist uns Eltern zu wünschen, dass wir es erkennen. Und unseren Kindern ist es auch zu wünschen, dass wir Eltern es erkennen. Versuchen wir es.

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