Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundzwölf
Kein Problem

Heute soll von meinem neuen Handy die Rede sein. Denn mein altes Handy – noch ein Modell ohne eingebauten Media-Markt – ist hin. Kein Sträuben hilft, ein neues soll her. Da wir ohnehin gerade mit Sack und Pack in der großen Stadt sind, suchen wir ein Einkaufszentrum auf und darin einen Handy-Laden.

Nach geringfügiger Beratung (kommt eigentlich nur ein Tarif in Frage) und Auswahl des Handys (ist eigentlich nur eines im Angebot) geht’s ans Ausfüllen eines Formulars (mit Kugelschreiber, problemlos) und die Anmeldung via Datenübertragung (mit Computer, unmöglich). Das Masterpaßwort sei defekt oder so. „Kommen Sie doch bitte in einer halben Stunde wieder, ich regele das.“

Nach einer ganzen Stunde ist da ein anderer Mitarbeiter, das ausgefüllte Formular unauffindbar und das Masterpaßwort, klar, immer noch defekt oder so. „Kommen Sie doch bitte in einer halben Stunde wieder.“

Wie viel Gottvertrauen und gar Menschenvertrauen man haben kann. Wir bummeln weiter durch das uns alsbald – „Papa, ich muss mal!!“ – bis zum letzten Klorollenhalter bekannte Einkaufszentrum, entwerfen für die schon langweilig gewordenen Schaufenster Alternativen, kaufen aus Verlegenheit ein paar doofe Dinge und landen schließlich im großen Eiscafé. Wo wir Eis essen, Passanten betrachten, mit den Kindern spielen, einen recht komplexen Roman entwerfen und uns zu etwas späterer Stunde die Abendkarte reichen lassen. Wie nebenbei wird der Ganzlütte gestillt und gewickelt, mehrfach. Ein Hinweis auf das Verrinnen auch seiner Lebenszeit.

Alle halbe Stunden schicken wir die Große durch die Hallen, nach dem Masterpaßwort fragen, und alle halbe Stunde kommt sie mit der freudigen Botschaft zurück: In ungefähr einer halben Stunde sei es wohl soweit. Klar, kein Problem, wir haben ja Zeit, wir müssen nur noch zwei Stunden Auto fahren und den Hund und die Schweine von Freunden abholen und zu Abend essen und die Kinder rechtzeitig ins Bett bringen.

Erste Passanten grüßen, wir sind bekannt, so lange wie wir hier schon sitzen. Der Kellner duzt uns. Ich erkenne Menschen wieder, die vorhin auf dem Weg zur Arbeit waren und jetzt nach Hause streben. Ein Hinweis auf das Verrinnen auch meiner Lebenszeit. Ich erwäge den Kauf von Schlafsäcken, die gibt’s nebenan gerade im Angebot.

Schließlich aber, wir haben es die ganze Zeit geahnt: „Das wird heute nix mehr!“ Kein Masterpaßwort, keine Datenübertragung. Kein Handy. Man könne es uns aber in der nächsten Woche in die Filiale nach Husum schicken. Klar, kein Problem, da fahren wir dann gerne noch mal hin, das ist von uns ja auch nur eine Dreiviertelstunde entfernt.

Seufzend verfrachten wir alle Kinder und Utensilien und im Eiscafé verteilten Spielzeuge ins Auto und stellen uns am Stauende an. Eine Dreiviertelstunde oder fünf Kilometer später klingelt das Handy meiner Frau, das Masterpaßwort sei jetzt da, und falls wir in der Nähe seien, könnten wir das Handy jetzt abholen. Wir haben das dann einfach gemacht, waren ja ohnehin gerade in der Nähe.

Warum ich Ihnen all das erzähle? Weil unsere Kinder – mit ihren so sehr unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen – all das mitgemacht haben. Mit ihrer kindlichen göttlichen großartigen Geduld.

Soviel Geduld hätte ich gerne, mit meinen Kindern.

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