Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundvierzehn
Wir Eltern

Wir sprachen letzte Woche davon: Auch wir Eltern sind mitunter eine eher spezielle Spezies. Eltern von Kindergartenkindern machen da keine Ausnahme: Die einen sagen, dass die jüngeren Kinder im Kindergarten zu wenig beachtet werden, die anderen meinen, die älteren würden zu wenig gefördert. Die einen wollen ein Englisch-Angebot für Dreijährige, die anderen fordern Plattdeutsch ab zwei. Warum fährt der Kindergartenbus nicht zehn Minuten früher, warum fährt er nicht zehn Minuten später? Und warum, Frage aller Fragen, hat der Kindergarten nicht am Wochenende geöffnet?

Mit Eltern ist es ein wenig so wie mit der Politik und dem Stammtisch. Am Stammtisch wissen wir ja oft ziemlich genau, wie es zu laufen hat und was die Politiker und Fußballtrainer alles falsch machen. Bei Eltern ist das ganz ähnlich, die wissen auch oft ziemlich genau, wie es zu laufen hat. Nur der Stammtisch, der funktioniert bei Eltern nicht. Einige engagierte Eltern hatten den tatsächlich eingerichtet als Ort des Kennenlernens und des Austausches. Wurde aber durch mangelnde Inanspruchnahme wieder eingeschläfert.

Auch der letzte Elternabend des Kindergartens war eher mäßig besucht, um es vorsichtig zu sagen. Merkwürdig, dass der Ort, an dem alle Fragen und Wünsche und Informationen zumindest einander angenähert werden können, mäßig besucht wird. Da müssten doch alle Eltern da sein! Jedenfalls alle, die sich für das interessieren, was ihre Kinder vormittags so machen. Aber wer weiß, vielleicht waren ja alle da, die sich für das interessieren, was ihre Kinder vormittags so machen?! Nicht die Kinder sind das Problem, scheint mir manchmal.

Die Kindergärtnerinnen dürfen dann mit all diesen sehr verschiedenen elterlichen Wünschen und Ängsten fertig werden. Dabei unterscheiden wir drei Elterngrundtypen. Grundtyp eins: „Mein Kind ist so süß, der kleine Racker, macht zwar alles kaputt, aber das mit so viel Engagement, goldig, nicht?“ Grundtyp zwei: „Also meiner macht alles kaputt, wir müssen immer alles wegschließen und anketten und einglasen und einsargen – es ist nur schrecklich!“ Grundtyp drei: „Also ich weiß ja nicht, ob ich überhaupt geeignet bin, ob ich da alles richtig mache, ich will ja auch nichts falsch machen!“ Auf diesen drei Grundtypen basieren siebzehn Untertypen – eine genau Auflistung der Untertypen mit allen Vorlieben, Abneigungen, Anforderungen an das Kind und den Rest der Welt kann angefordert werden.

Einen ersten brauchbaren Überblick über die elterlichen Typen bekommt man an der Bushaltestelle. Manchmal sind in einem Vater oder einer Mutter auch gleich mehrere der Untertypen vereint, jedenfalls morgens: Ich beispielsweise vereine vor dem zweiten Kaffee mindestens drei Untertypen.

Da stehen wir dann im Dämmerlicht und warten. Die Kleinen plaudern oder toben schon. Wir Eltern plaudern oder dösen noch. Eine Mutter putzt ihrem Kind die Nase, eine Mutter sagt ihrem Kind, es soll sich gefälligst die Nase putzen. Ein Vater kratzt sich unauffällig an der eigenen. Zwei schauen auf die Uhr, warum der Bus wieder verspätet ist. Das bisschen Glatteis! Zwei Minuten über die Zeit! Pünktlich ist er, wenn er nicht zu spät fährt – weshalb er auch gerne ein wenig früher fahren darf.

Doch das ist schon die nächste Geschichte ...

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