Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundzweiundzwanzig
Familien-Gottes-Dienst

Zum Glück gibt es ja den Familiengottesdienst. Hier sitzen die Kleinen auf bunten Kissen im Kreis vor dem Altar und die Großen drumherum auf Stühlen, und wenn der Ganzlütte kräftig kräht, ist das fröhlich egal.

Übrigens ist der Familiengottesdienst nicht nur ein Gottesdienst für Familien, sondern auch ein Gottesdienst, in dem alle eine Familie sind – manchmal sind mehr ältere Menschen dabei als jüngere! Und wenn am Ende der goldene Reifen herum geht und über jeden gehoben wird, dass er hindurchsteige, machen auch die ganz Alten mit und singen „Ich hüll dich golden ein!“ und man sieht: Es tut ihnen gut.

Mitunter aber wird es geradezu dramatisch: Wir sitzen also zu Füßen des Altars, die Pastorin erzählt eine Geschichte, das Kind lauscht und spielt und dreht versonnen an seiner Puppe Lara herum – bis es auf einmal in der einen Hand die Puppe hält und in der anderen Hand den leider irgendwie abgedrehten linken Arm von Lara. Tränen treten dem Kind in die Augen – doch es hält durch. Kinder können enorm tapfer sein!

Kinder können auch enorm ernsthaft sein. Vor ein paar Wochen sitzen wir am sonntäglichen Frühstückstisch und denken an den bevorstehenden Kirchgang und auch an das nachmittägliche Kinderfaschingsfest in der dörflichen Turnhalle. Allerdings ist das Kostüm des Kindes zu diesem Zeitpunkt nicht nur noch nicht fertig, sondern noch nicht einmal angefangen. Wir sind da nicht so. Last-Minute-Kostüme. Letztes Jahr hat’s ja auch geklappt. Das Kind zweifelt: „Ich möchte wissen, wie ihr die Schmetterlingsflügel macht!?“ Sagt die Lieblingspastorin: „Das wissen wir auch noch nicht.“ Und fügt schmunzelnd hinzu: „Ihr zwei könnt darüber ja schon mal nachdenken im Gottesdienst.“ Empört sich das Kind: „Mama!! im Gottesdienst wird an Gott gedacht!!“

Kinder können auch enorm eifrig sein. Nach dem sonntäglichen Frühstück stapft das Kind durch den Nieselregen die Pastoratswarft hinunter und die Kirchwarft wieder hinauf, um dem Küster den Liederzettel zu bringen, dass er die richtigen Nummern an der Tafel aufhängt. Dann stapft es die Kirchwarft wieder hinunter und die Pastoratswarft wieder hinauf. Um eine gute halbe Stunde die Pastoratswarft wieder hinunter zu stapfen und die Kirchwarft wieder hinauf: Heute darf es die Glocken läuten!

Im Gottesdienst passiert natürlich das übliche – zu den Konfirmanden rüberäugen, mit dem Kirchenbanktürchen klappern, Teddy fallen lassen, Teddy trösten, die Frau vom Küster beplaudern und – hoffe ich – zwischendurch auch an Gott denken. Oder wenigstens an Schmetterlingsflügel. Zum Ende des Gottesdienstes wird das Kind dann wieder ernsthaft: Es darf dem Küster bei der Kollekte helfen und geht mit dem Klingelbeutel in der Hand gemessenen Schrittes die Reihen ab.

Am Nachmittag dann tippeln wir noch einmal los (es nieselt nicht mehr), ich mit dem Kind an der einen Hand und einem Korb an der anderen mit Magneten und Zetteln und dem laminierten Gottesdienstplan und einem bunten Plakat: Die Schaukästen werden neu gestaltet und bestückt, und das Kind hilft mir dabei.

Wie das Kind so tapfer und ernsthaft und eifrig ist!, denke ich mir. Und dass der Beruf der Pastorin nicht nur der Beruf der Pastorin ist, ja, das ist mitunter fast eine Art Familienunternehmen. Das Kind macht das alles wie selbstverständlich mit.

Als ob das selbstverständlich wäre!

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