Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundneunundzwanzig
Aufladbare Elterneinheit

 

Die Kinder sind im Bett. Natürlich sind die Kinder im Bett, es ist ja schon spät. Sehr spät. Genauer: Es ist die neunzigste Minute im UEFA-Cup-Halbfinale! Hamburg gegen Bremen, Teil II. Bremen macht Druck. Müssen sie auch, denn sie liegen zurück. Im Babyfon bleibt es still. Klar: Der HSV führt, es gibt keine Verlängerung und kein Elfmeterschießen! Warum sollte das Baby schreien? Warum sollte meine Große jetzt schlaftrunken hereintaumeln? Der Schiri blickt auf die Uhr, der Schiri pfeift: Schluss! Nächste Woche das Rückspiel, mit Verlängerung, Elfmeterschießen – und Kindergeschrei, wenn’s spannend wird.

Dann gehe ich noch mal ins Internet, ich habe da bei Ebay ein hochinteressantes Dingens entdeckt. Kennen Sie den Slogan von Ebay: „Drei –zwei – eins – meins!“? Wenn Sie Kinder haben, läuft das ungefähr so ab:

Noch zwei Minuten, die Spannung steigt, Ich halte mein lächerlich geringes Gebot, bin aber bereit, noch was draufzulegen, ganz am Schluss, noch eine Minute, irgendwo im Haus rummst es, noch vierzig Sekunden, jetzt gebe ich gleich mein absolutes Höchstgebot ein, da hat keiner eine Chance, noch zwanzig Sekunden, ich höre Schritte, gebe mein Gebot ein, will mein Gebot senden, noch zehn Sekunden, die Tür zu meinem Zimmer fliegt mit einem Krach auf, ich zucke zusammen, ein Kind fällt durch die Tür, ich treffe die falsche Taste, die Auktion ist zu Ende, das schöne kleine Dingens geht für einen lächerlichen Preis an einen anderen Bieter. „Guck mal, was ich gebastelt haben!!“ Mist.

Aber zärtlich erinnere ich mich: Damals, als unsere Große noch ganz frisch war, haben wir unser Babyfon bei Ebay ersteigert! Mit annähernd null Elektrosmog. Ein paar Tage nach der Auktion kam das Päckchen – war nur das falsche Gerät drin. Irgendein billiges Ding mit reichlich Elektrosmog. Wir reklamierten, der Verkäufer meinte tatsächlich, es sei doch egal, wir wollten ein Babyfon und jetzt haben wir eins. Na ja, Ebay eben. Egal. Irgendwann aber hatten wir das gewünschte Gerät im Haus.

Auch schon ein paar Jahre her. Neulich hatte ich versehentlich den Prospekt für ein wirklich modernes Babyfon in der Hand. Forschung und Entwicklung schreiten voran! Oh, was das alles kann! Und kostet nur 140 Euro („Batterien nicht enthalten“).

Das Gerät hat eine Lautstärkeregelung (finde ich gut, da stört das Babygeschrei nicht so beim Elfmeterschießen). Es bietet fünf Einschlaflieder (muss ich die Kinder nur noch nach oben bringen, aber nicht mehr selbst singen). Die Gegensprechfunktion sollte man nicht aus Versehen eingeschaltet haben, wenn das Spiel beginnt (Es sei denn, das Baby ist ein Junge, dann bekommt es gleich die richtige Medizin eingeträufelt). Aber im Ernst: Die Gegensprechfunktion ist wohl dazu gedacht, das Kind beruhigend zu bewispern (während im Hintergrund das Stadion kocht). Ich möchte wissen, wie blöd ein Kind sein muss, um sich von Papas Stimme aus dem Off beruhigen zu lassen, ohne Papa sehen und riechen und fühlen zu können!

Absolutes Hochlicht aber ist die „aufladbare Elterneinheit mit Schnellladefunktion“. Was für eine überaus praktische Sache! Bisher hatte ich diese Rolle immer selbst übernommen. Ich als Elterneinheit brauche aber immer eine ganze Nacht, um wieder aufgeladen zu werden...

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