Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundeinunddreißig
Finalvorbereitungen

Jedenfalls hatten wir letzte Woche beschlossen, mal einen Ausflug nach Bremen zu machen, in die schöne Stadt des schönen Fußballs. Und nun geht schon los! Da Vorfreude die schönste Freude ist, habe ich mir den Kulturkalender dieser Stadt schicken lassen. Meine Güte, was für ein Wälzer, allein für die paar Tage, die wir dort sind – gleich über fünfhundert Seiten! Ordentlich was los in der kleinen Stadt.

Dabei scheint Bremen unseren Besuch genauso sehnsüchtig herbeizusehnen wie wir die Reise dorthin. Auf dem Umschlag des Wälzers ist eine Sprechblase zu sehen: „Mensch, wo bist du?“ Das klingt als Ansprache an fremde Gäste erstmal etwas grob, aber wir im Norden können ja was ab und dürfen etwas nörgelnd sagen: Ja doch, wir kommen ja schon!

Am Mittwoch wollen wir los, und am Mittwoch ist ja auch gleich UEFA-Cup-Endspiel: zwar nicht in Bremen, aber mit Bremen. Meine Vermutung war ja, dass es „Public Viewing“ geben wird und die Fans mit ihren Liedern ihrer Freude am göttlichen Sport stimmungsvoll Ausdruck verleihen werden. Ein Blick in den Kulturkalender: Der Endspiel-Abend wird sogar mit einem „Abend der Begegnung“ gefeiert! Wahrscheinlich eine Deeskalationsmaßnahme, damit rivalisierende Fangruppen nicht aufeinander losgehen. Obwohl, na ja, so viele Fans von Shakhtar Donetsk wird es in Bremen wohl gar nicht geben. Leider steht in dem Heft nirgendwo verzeichnet, wo die Leinwände für die Live-Übertragung des Spiels stehen.

Wir blättern weiter und tiefer im Kulturkalender. Viel Kirchliches dabei, aber nicht unangenehm viel, immer noch genügend normale Angebote. Musik, Theater, Kleinkunst, Vorträge, Politik. Erstaunlich, wie viele auch bekannte Politiker sich so pro Woche in Bremen tummeln. Ich dachte immer, Berlin sei schon schlimm.

Eine Reise will aber nicht nur theoretisch vorbereitet werden, sondern auch praktisch. Das Programm rät ab von einer Anreise mit dem Auto, weil keine Parkplätze zur Verfügung stünden. Doch auch eine Bahnfahrkarte bekommen wir nur noch mit viel Wimmern, eigentlich sind alle Züge nach Bremen ausgebucht. Wie kann das sein, dass man das bisher alles nicht wusste: Wie spannend das kulturelle Angebot der kleinen Stadt ist, wie viele Leute dahin wollen. Und wie wenig man dort auf Besucher eingestellt zu sein scheint, ja, der Kulturkalender weist ausdrücklich darauf hin, dass es in Bremen auch keine Sitzgelegenheiten gibt und man deshalb aller Orten Papphocker aufgestellt hat.

So allmählich beschleicht uns Angst, offenbar werden ja Massen erwartet! Sicherheitshalber schreiben wir unserer großen Lütten die diversen Handynummern auf den Arm. Und erklären ihr das Programm und den Ablauf, ungefähr so, wie wir uns das vorstellen. „Sind da auch andere Kinder??“ Ja, klar, und es gibt viele Angebote für Kinder: Singen und Tanzen und Basteln und so. „Ich will in die Bastelecke!!“ Mir scheint, es wird eine marktplatzgroßer Bastelecke sein, aber egal.

Schließlich sortieren wir die Wohnung in Dinge, die auf einen fünftägigen Familienausflug in eine fremde Stadt unbedingt mit müssen und Dinge, die wir nicht so sehr benötigen. Der erste Haufen ist der größere.

Dann tippeln wir zum Bahnhof. Was danach geschah und ob wir tatsächlich den Bremer Stadtmusikanten begegnet sind, das lesen Sie nächste Woche.

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