Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

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Folge einhundertunddreiunddreißig
Kunsthandwerkermarkt

 

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel, so sagen die Fußballfreunde und natürlich nicht nur die. Aber erstens hat die Bundesliga schon Sommerpause und zweitens sind wir nicht erfüllt von den Gesängen des Stadions, sondern von den Gesängen der Hallen und Plätze und Kirchen des Kirchentages. Nach dem Kirchentag ist vor dem Kirchentag, so sagen die Kirchenfreunde. Aber auch das stimmt nicht ganz, denn der nächste Kirchentag ist nicht nach der Sommerpause – und hätte die Kirche Sommerpause? -, sondern erst in zwei Jahren.

Bis dahin ist also eine lange Zeit des völlig alltäglichen Lebens zu überstehen. Und doch gilt es, innerliche Freude, geistlichen Input und gewonnene Erfahrung des letzten Kirchentages in den Alltag mit hinein zu nehmen. Wo bleibt, was doch bleiben soll?

Da kommt das Pfingstfest natürlich gerade recht. Und gleich nach dem Gottesdienst in unserer schönen Dorfkirche zieht es uns hinaus in das pulsierende Leben der weiten Welt, konkret: nach Süderschmedeby. Langjährige Leserinnen und Lesern dieser Kolumne wissen, dass dort einmal im Jahr der Kunsthandwerkermarkt stattfindet und dass wir einmal im Jahr dorthin fahren, bummeln, hernach nahebei wohnende Freunde besuchen und so weiter. Diese Leserinnen und Leser werden sich sogar erinnern, dass das Kind den Zungenbrecher „Kunsthandwerkermarkt in Süderschmedeby“ bereits im Alter von vier Jahren stolperfrei aufsagen konnte auf die Frage, wo man denn letztes Wochenende gewesen sei. Versuchen Sie das mal, dreimal hintereinander ohne Versprecher!

Der Kunsthandwerkermarkt in Süderschmedeby – einem kleinen Dorf in der weiteren Nähe von Flensburg – ist nicht nur über die Dorfgrenzen hinaus bekannt, sondern tatsächlich eine Institution und eine Großveranstaltung. So eine Art Wacken fürs Kunsthandwerk. Es gibt große und kleine Dinge anzusehen, zu drehen und wenden, zu kaufen. Und es sind wirklich zauberhaft schöne Dinge dabei. Und natürlich auch ein paar Sachen, bei denen man sich fragt, warum die Welt so ist wie sie ist, ästhetisch betrachtet. Vielmehr: bei denen man sich das dann nicht mehr fragt.

Nun waren wir also wieder dort – und es war sofort wieder das komplette Kirchentagsgefühl da! Das Kind verschwand umgehend in der Hüpfburg – die in diesem Fall nicht die Form einer Burg hatte, sondern, klar, die Form einer Kuh! Ließ sich wenig später schminken und bastelte dann in einer der Bastelecken. Der Ganzlütte wiederum versuchte fortwährend aus dem Kinderwagen auszusteigen, um aktiv einzugreifen in die große spannende Welt um ihn her –, bis ich ihn entnervt in die Rückentrage stopfte, die wir glücklicherweise mitgenommen hatten. Dort johlte er fröhlich weiter und trommelte mit seinen kleinen Händen auf meinem Kopf herum. Und wir schoben uns durch die Massen, besahen all die Dinge und all die Menschen und suchten schließlich das Verpflegungszelt auf, um uns mit Kaffee und Kuchen zu versorgen. Alles wie in Bremen.

Was aber unterscheidet Süderschmedeby von Bremen? Es gibt auf dem Dorf keine Straßenbahnen. Wir müssen nicht in einer Schule übernachten. Es hat nicht gewittert. Und die Zahl kirchlicher Angebote ist etwas geringer. Aber ansonsten?

Ansonsten grübeln wir nun, ob der Kirchentag irgendwie auch nur so eine Art Kunsthandwerkermarkt ist. Immerhin haben wir zum Grübeln zwei Jahre Zeit.

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