Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundneununddreißig
Langeweile

 

Neulich habe ich mich so richtig gelangweilt. Nur wird ein jeder, der kleine Kinder hat, sich fragen, wie man das schaffen kann, sich zu langweilen. Und in der Tat ist es mit Kindern niemals langweilig. Natürlich ist das Kind wie jedes Kinder an sich ab und an mal langweilig: wenn es zum einhundertvierundzwanzigsten Mal erzählt, was Züntia gesagt hat, nachdem es selbst gesagt hat als Erwiderung auf die Ausführungen von Züntia und das Züntia nun wirklich GAR nicht mehr die beste Freundin sein wird für HUNDERT Jahre.

Doch auch bei langweiligen Texten aus dem Munde des Kindes wird’s Leben nicht langweilig, weil die Hände des Kindes derweil wie aus Versehen Joghurt auf den Küchenfußboden kippen. Und Fußbodenwischen ist eher nicht so meine Lieblingsbeschäftigung, weshalb es dann Lautstärke gibt und Wischlappen – das ist alles nicht langweilig.

Am besten geeignet zur Produktion von Langeweile ist aber erzwungene Wartezeit. In der man nix tun kann, weil nix zu tun ist. Der Zug steht, Signalstörung kurz vor Elmshorn. Das Auto steht, Baustelle kurz vor Itzehoe. Sie sind zügig geradelt, aber jetzt ist die Eiderbrücke hochgeklappt, der Freizeitkapitän ist längst durch, aber die Klappbrücke klemmt irgendwie. Sitzt man im Auto, hat man nichts zu lesen dabei. Sitzt man im Zug, hat man die Lektüre alsbald beendet. Sitzt man auf dem Rad, beginnt es zu regnen. Die Uhr zeigt an, dass man jetzt schon ganz woanders sein sollte, und man kann noch nicht mal mit dem Handy rumdaddeln, weil der Akku leer ist.

Erzwungen? Geschenkt!

Neulich war es wieder so weit. Das Kind, der Ganzlütte und ich setzen die Lieblingspastorin vor dem Gemeindehaus ab. Sie will nur mal kurz dieses und jenes, und wenn sie fertig sei, ruft sie auf dem Handy an, und dann sollen wir sie wieder abholen.

Das Kind, der Ganzlütte und ich verfügen uns auf die nahe Wiese, das Kind schlägt Rad und ich fütter den Ganzlütten, da ist schon ungefähr die halbe Wartezeit Vergangenheit. Na, dann ziehen und schieben wir zum Eiscafé und essen Eis. Ich ein großes, das Kind ein kleines und der Ganzlütte keines.

Dann ist die Wartezeit definitiv um. Kein Anruf. Im Gemeindehaus ist die Tür zum Besprechungsraum geschlossen, wer will da stören, ich sicher nicht. Könnte sein, dass was Wichtiges ist. Könnte sein, dass die Wartezeit noch anderthalb Stunden dauert. Was kann man tun?

Es kann GAR nichts gemacht werden. Große Ruhe breitet sich aus. Wir betrachten die Wände und drehen den Infoständer. Wir bummeln noch ein wenig, besehen Leute: Zwei kleine Jungs toben vorbei, Zwillinge. Menschen, die aus einem Bus steigen, ein Mann stolpert und fängt sich wieder. Kein Anruf. Egal.

Die Schranke geht runter, der kleine Zug brummt vorbei, die Schranke geht wieder hoch. Auf dem Marktplatz wird der Jahrmarkt aufgebaut, ein Mann turnt in einiger Höhe auf dem halbfertigen Gestell. Kein Anruf. Wieso auch?

Eine Schnecke kriecht in ihr Verderben, ein Spatz hüpft vorbei, zwei Möwen kreischen einander an. Kein Anruf. Würde jetzt auch nur stören.

Aber da klingelt das Telefon doch. „Tut mir leid, dass ihr warten musstet. Habt ihr euch gelangweilt?“

„Ja, haben wir. War schön!“

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