Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertunddreiundvierzig
Sommerloch. Oder: Hundert Gründe

 

Es ist Sommer. Und da ist es auch schon (Tusch! Ruhe! Applaus!): Das Sommerloch. Oh Gott, worüber schreibe ich denn diese Woche? Kindergarten war gestern, Schule ist morgen, das Kind trödelt durch den Garten oder ärgert den Hund. Keine Aktion weit und breit. Kein Thema. Wozu hat man eigentlich Kinder, wenn nix passiert?

Aber das ist es ja schon: Wozu hat man eigentlich Kinder? Wieso bin ich Papa? Wollte ich das eigentlich wirklich werden? Kann es Gründe geben, Vater sein zu wollen?

Bevor ich mich in allzu tief schürfenden Fragen verliere, gehe ich ein wenig surfen. Nicht in den Wellen, der Typ bin ich nicht. Leider? Weiß ich auch nicht. Wie soll ich das wissen im Sommerloch? Autorennfahrer müsste man sein, dann hätte man jetzt kein Sommerloch und die Schlagzeilen für sich. Aber will ich das? Wozu gibt es Rennautos? Wollte ich eigentlich wirklich Rennfahrer werden? Kann es Gründe geben, Rennfahrer sein zu wollen?

Nö. Dann doch lieber Papa. Ich surfe auf den Wellen des Internets. Suche nach anderen Papas. Es gibt vaeter.de und kidnet.de. Ich lande auf der Seite ichbinpapa.de. Klingt spannend: Es gibt die Rubrik „Väterorte“, es gibt eine „Väterlandkarte“. Ich kann „Väter nach Orten suchen“ und „interessante Väterorte finden“. Was sind Väterorte? Empfehlenswerten Kneipen für wenn die Kinder im Bett sind? Fußballstadien mit kostenloser Kinderbetreuung?

Ich suche „Väter nach Orten“. Ich klicke und gelange zu einer Suchmaske. Ich gebe unseren Dorfnamen ein. Und bekomme die interessante Meldung „Fatal error: Cannot instantiate non-existent class: simplexmlelement in /html/uploads/all.inc on line 165“. Ich habe es immer geahnt.

Ich gebe „Husum“ ein. Fatal Error. Ich mache ernst und gebe „Berlin“ ein. Fatal Error. Offenbar bin ich der einzige Papa im Land. Kann aber nicht sein, neulich habe ich einen gesehen.

Ich surfe weiter, lese hier und da, klicke und lande schließlich auf einer Seite, auf der viele Väter ihren jeweils ganz persönlichen Grund eingegeben haben: Hundert Gründe für das Vatersein. Ich finde Seltsames, Berührendes, Spannendes, Komisches.

Weil man als Papa wieder Kind sein darf, ohne dass man sich dafür rechtfertigen muss. Weil wir den Kindern Werte vermitteln können, bei denen Frauen echte Probleme haben. Weil wir für sie die Größten sind und sie uns alles zutrauen. Weil sie unsere Phantasie beflügeln. Weil ich weiß: Ich habe einen starken Papa im Himmel, an den ich mich immer anlehnen kann und der mich stärkt und mich segnet. Weil ich meine Kinder liebe und es sich immer lohnt, sich für sie einzusetzen, egal wie scheiße sie uns manchmal in der Pubertät begegnen. Weil es nichts Schöneres gibt als den Satz „Papa, ich hab dich lieb!“ Weil man wieder stundenlang Lego spielen darf. Weil du als Vater plötzlich wieder die wichtigen von den unwichtigen Dingen im Leben unterscheiden kannst. Weil man mit zwei Kindern endlich seine eigene Gang hat, die gemeinsam Höhlen baut, im Café auffällt und in der U-Bahn auf den Sitzen steht. Weil Kinderfragen die beste Vorbereitung auf jegliche Verhandlungsführung sind. Weil es nichts Schöneres gibt, als am Samstagmorgen um 7 Uhr mit einem Kinderlächeln geweckt zu werden. Weil PAPA der schönste Vorname ist.

Ich schaue aus dem Fenster. Meine Kinder spielen im Garten. Hundert Gründe!

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