Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

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Folge einhundertundvierundvierzig
Kopenhagener, Ecke Ystader

 

Und, wie war’s in Berlin? Schön war’s. Aber wussten Sie, dass es gegenüber dem Spielplatz in der Schönfließer Straße einen Eisladen gibt, in den man nicht mit Kinderwagen rein darf? Jetzt weiß ich es. Doch der Reihe nach.

Da sind wir nun also für nicht ganz zwei Wochen in der einzigen großen Stadt Deutschlands gelandet. Herrlich! Endlich Ferien! Großer Lärm, Baustellen ohne Ende. Bahnen über der Straße, auf der Straße und unter der Straße. Alle fünfzig Meter eine Bäckerei, alle achtzig Meter ein Lebensmittelladen, alle hundertfünf Meter ein Laden mit Dingen, von denen ich gar nicht wusste, dass es dafür Läden gibt.

Am zweiten Tag Sightseeing mit Kind. Das Kind soll ja was sehen von der Welt. Wir beginnen unseren kleinen historischen, philosophischen und architektonischen Rundgang zentral: Alexanderplatz, Weltzeituhr, Rotes Rathaus. Neptunbrunnen, St. Marien-Kirche, Klo im Nordsee-„Restaurant“. Marx-Engels-Denkmal, Dom (Fünf Euro Eintritt! Die spinnen, die Christen! Aber nicht mit uns!). Humboldt-Universität, Unter den Linden, Brandenburger Tor, Souvenirladen, Reichstag (ohne Kuppel, die Schlange reicht fast bis Charlottenburg).

Am Potsdamer Platz schwächelt das Kind ein wenig: „Wo ist jetzt der Spielplatz?“ Offenbar eine lautmalerische Verwechslung. Allerdings schwächel ich auch ein wenig: in der Nähe ist der Tiergarten, klingt wie Biergarten, offenbar eine lautmalerische Verwechslung. „Dort drüben, der große Park, der heißt Tiergarten, dort ist ein großer Spielplatz!“, versichere ich in freudiger Erwartung (des Bieres natürlich, nicht des Spieles).

Wir wandern frohgemut hinein. Doch der Tiergarten ist eine Falle. Kein Schild weit und breit, kein Parkplan, kein nix. Wo sind wir? Ich höre die Stadt rauschen, ich sehe Bäume. Jogger kann man nicht nach dem Weg fragen. Nach einer Viertelstunde strammer Wanderung höre ich immer noch die Stadt und sehe sie vor lauter Bäumen nicht. Nach gefühlten zwei Stunden finden wir endlich einen Spielplatz. Ein einsames Kind spielt im grauen Sand. Kein Bier weit und breit. Tolle Stadt.

Sehr viel später absolvieren wir noch das Restprogramm – Siegessäule, Gedächtniskirche, Zoo-Bahnhof – und fahren schließlich erschöpft in unsere Herberge zurück. Haben wir das Kind überfordert? Im Nachhinein denke ich: nein. Schließlich muss ich am nächsten und übernächsten und überübernächsten Tag auch ein dichtes Programm absolvieren:

Spielplatz Schivelbeiner Straße. Spielplatz Schönfließer Straße. Spielplatz Kopenhagener Straße, Ecke Rhinower Straße (Südseite). Spielplatz Kopenhagener Straße, Ecke Rhinower Straße (Nordseite, kein Scherz, da sind wirklich zwei!). Spielplatz Kopenhagener Straße, Ecke Ystader Straße. Spielplatz im Mauerpark (Nordrand). Spielplatz im Mauerpark (Mitte). Spielplatz am Rosenthaler Platz.

Und natürlich Spielplatz am Helmholtzplatz, der erste und einzige mit einer eigenen Zeitschrift. Sie heißt Nido und ist der jüngste Ableger vom Stern. Nido bringt das Kunststück fertig, auf ein- und derselben Titelseite sowohl „Ich will wieder arbeiten“ als auch „Weltreise bis nach Neuseeland“ unterzubringen. Ja, was denn nun? Ent oder weder.

Weder noch. Ich hab’ schon genug Arbeit. Auf dem Spielplatz nämlich. Doch das ist schon die nächste Geschichte ...

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