Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundfünfundvierzig
Ich beim Sicherheitsdienst

Berlin. Schwere Motorräder, dunkle Limousinen, dahinter Schemen. An strategischen Ecken Männer mit verspiegelten Sonnenbrillen und Knopf im Ohr. Das muss abgefärbt haben, denn ich bin jetzt auch beim Sicherheitsdienst.

Und das kam so: Heute hat die Lieblingspastorin einen Urlaubstag Ausgang nur für sich, der Rest der Familie verfügt sich auf den nächsten Spielplatz, wovon es in Berlin ziemlich viele gibt.

Bei den meisten Kindern ist es ungefähr so, dass man sie mit Eimerchen und Schäufelchen in die nächstbeste Sandkiste setzt und sie dann dort stundenlang selig schaufeln. Die größeren Kinder erklettern Gerüste und schaukeln bis zum Runterfallen, während man selbst sich auf der nächstbesten Bank der Zeitung, einem guten Buch und der attraktiven Banknachbarin widmet. Meine Kinder sind da etwas anders, weshalb ich jetzt der Mann für die Sicherheit bin mit einer Vielzahl von Aufgaben:

Ich setzte den Ganzlütten mit Eimerchen und Schäufelchen in die nächstbeste Sandkiste und schicke meine Große zum Kletterturm. Noch bevor ich mich der nächsten Bank zuwenden kann, um zu sehen, wer dort sitzt und liest und attraktiv ist, stolpert meine Große über ihren linke Fuß und verletzt sich schwerst. Ich eile, tröste und puste, derweil der Ganzlütte schon die Sandkistenumrandung erklettert, um auf der anderen Seite ins Bodenlose zu stürzen. Ich eile, tröste und puste und flöße ihm etwas zu trinken ein, derweil meine Große das Gerüst erklimmt, sie rutscht allerdings kurz mal ab, hält sich den Zeh, Blut quillt hervor, zumindest schreit sie so. Während ich Pflaster auspacke, erklettert der Ganzlütte die niedrige Mauer, die zu einer höheren Mauer führt, die eigentlich den Spielplatz gegenüber der wilden Stadt abgrenzt. Bevor er erneut ins Bodenlose stürzt, eile ich. In der Zwischenzeit höre ich aus den Ohrenwinkeln, wie meine Große einem fremden, aber interessierten Vater gerade meine Mittagsschlafgewohnheiten erläutert. Ich flöte sie sanft heran und erläutere liebevoll, dass nicht immer alle alles wissen müssen, während ich aus den Augenwinkeln sehe, wie der Ganzlütte dem Ausgang zueilt. Ich eile auch. Im Altern von vierzehn Monaten hat man den Mechanismus einer Schwingtür spätestens beim dritten Spielplatz im Groben durchschaut. Er verpasst der Tür einen ordentlichen Schubs, wendet sich mir noch einmal fröhlich winkend zu, während von hinten die Tür bereits zurückschwingt und ihm ordentlich was auf den Windelpo gibt. Ich eile, tröste, puste, rieche und wickel bei der Gelegenheit gleich, während ich aus den Augenwinkeln sehe, wie meine Große tränenüberströmt am Karussell zusammenbricht, weil die Ganzgroßen sie nicht mitfahren lassen. Ich eile, tröste, setze sie aufs Karussell, während ich aus den Augenwinkel sehe, wie der Ganzlütte dem zweiten Ausgang zustrebt. Und so weiter.

Nach dreieinhalb Stunden habe ich vier Kilometer zu Fuß zurückgelegt, drei Packungen Trostkekse verteilt, zweieinhalb Liter Schweiß abgesondert, eine Packung Pflaster verklebt und eine halbe Seite in meinem Buch gelesen. Gerade da verlässt die attraktive Banknachbarin den Spielplatz mit ihren Kindern, die den ganzen Nachmittag ruhig kletterten und schaufelten. Ihr zu Ende gelesenes Buch hat sie unter dem Arm.

Was hat die für langweilige Kinder!

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