Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundsechsundvierzig
Schweben

 

Liebe Leserinnen und Leser, ich weiß überhaupt nicht, was ich Ihnen berichten soll. Nicht, dass mich die Langeweile gepackt hätte, das wäre ja noch ein Thema (siehe Folge 139).

Da waren wir im Urlaub und dann wieder zuhause und sind doch zugleich im Nirgendwo gelandet. Ein seltsamer Schwebezustand hat uns ergriffen. Nicht nur das Kind, sondern uns alle, den Ganzlütten inbegriffen. Nur Emil und Gustav haben natürlich wieder gar nichts begriffen und futtern den Löwenzahn weg als ob nix wäre.

Dabei ist ja auch tatsächlich und buchstäblich: nix. Nach dem Urlaub ist das Kind noch eine Woche lang in den Kindergarten gegangen, mit halbem Eifer natürlich. Schließlich geht es bald in die Schule. Es ist quasi ein Schulkind, also groß, annähernd erwachsen. Was also soll es im Kindergarten, bei den Babys? Die Lieblingsfreundinnen werden reihum noch einmal besucht, wer weiß, wann man sich wieder sehen wird. Und wann es neue Lieblingsfreundinnen geben wird.

Nebenbei: Eine neue Lieblingsfreundin gibt es schon, nämlich seit dem Schnuppertag, „Schule zum Kennenlernen“. Da kam das Kind freudestrahlend nach Hause: Freude über die Schule, Freude über die neue allerbeste Freundin. Wir werden sehen, ob sie sie am ersten Schultag auch nur wieder erkennt.

Dann aber kommt erstmal der letzte Kindergartentag. Der weltweit allerletzte Kindergartentag. Übrig gebliebene halb fertige Kunstwerke werden zusammengerafft, vier Hausschuhe eingesammelt (wieso vier?). Das Porträt mit dem eigenen Konterfei wird von der großen Bilderwand abgenommen, die Kindergartenzahnbürste kommt in die Tonne. Für immer! Allen wird „Tschüß!“ gesagt, außer Züntia, die ist doof. Dann noch „Tschüß, Kindergarten!“ Und weg.

Am Abend aber rollen Tränen. Das ist er, der Schwebezustand: Nicht mehr das eine, noch nicht das andere. Nicht mehr Kindergarten, noch nicht Schule. Es sind nur ein paar Tage, aber die wollen auch bewältigt werden!

Wir Eltern schweben mit. Eben war’s noch unsere kleine Tochter, jetzt ist’s ein großes Schulkind. Beim gemeinsamen Abendbrot erinnern wir uns der Kleinen, die damals an Papas Hand geklammert in den Kindergarten verbracht wurde. Meine Güte, waren die anderen Kinder alle groß! „Papa!! WANN kommst du wieder??“

Alle schweben. Das Kind darf lange aufbleiben und in Büchern blättern. Nachts schlafen wir unruhig.

Zugleich ist da aber auch diese überbordende Vorfreude: Schule!! Ich!! Endlich!! Hefte wurden gekauft, Stifte auch, das Geodreieck ordnungsgemäß mit Namen versehen, der Turnbeutel gepackt, der Ranzen steht abfahrbereit in der Diele. Wie aber wird die Schultüte aussehen? Womit wird sie gefüllt sein? Wird sie schöner als alle anderen sein? Und wie hieß noch das Mädchen vom Schnuppertag?

Am nächsten Tag dümpeln wir ein bisschen herum. Papa und Kind beschließen, zu Oma und Opa nach Hamburg zu fahren. Ein paar Tage überbrücken, auf andere Gedanken kommen. Wenn wir wieder da sind, ist’s Schule!

Denn, liebe Leserinnen und Leser, genau an dem Tag, an dem diese neue Nordelbische in Ihrem Briefkasten steckt, hat das Kind seinen weltweit ersten echten Schultag. Der Schwebezustand wird ein Ende haben.

Kann sein, dass es nächste Woche was zu berichten gibt?!

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