Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

Folge vierzehn
Bubedistan

„Assalomu Alaykum! Xush kelibsiz!“ Red’ ich bubedisch? Ja. Denn bei uns zuhause erklingen viele Sprache. Kirchenlatein und Hebräisch und Altgriechisch, klar, daneben auch Deutsch und Platt. Und eben Bubedisch, unsere Familiensprache. 

Früher, da hatte der Massentourismus die Flughäfen noch nicht im Griff und man erreichte auf Autobahnen eine noch tolerierbare Durchschnittsgeschwindigkeit. In dieser grauen Vorzeit wuchs ich auf. Und wenn ich mal ein wenig Unsinn im Kopf hatte und nicht wirklich zuhörte, wenn mein Vater mit mir sprach, senkte dieser die Stimme und fragte ernst: „Red’ ich spanisch?“

Denn zu dieser Zeit reichte der Blick nur knapp über den nächsten Zwischendeich. Dahinter kam Hamburg irgendwann und dann der Süden des Landes, also Hannover und Göttingen und so. Noch dahinter aber war die ganz ferne Welt, und Menschen in dieser seltsamen, mystischen Ferne sprachen seltsame, mystische Sprachen. Bayrisch etwa oder eben Spanisch.

Und wenn man das Gefühl hatte, beim Kind mit Erläuterungen und Vorschläge und, ganz selten, Ermahnungen auf taube Ohren zu stoßen, frug man es: „Red’ ich spanisch?“ Und das Kind wusste, oha, jetzt muss ich vielleicht doch ein wenig aufpassen in den nächsten dreißig Sekunden, sonst geht die Stimmung in den Keller.

Bei uns geht das nicht. Erstens hat das Pastorat gar keinen Keller, da geht die Stimmung gegebenenfalls gleich ganz die Warft hinunter. Und zweitens ist Spanien heute gar nicht mehr sooo weit weg. Ein Kind, das auch schon mal die Welt hinter dem nächsten Zwischendeich gesehen hat, schnappt bereits im Kindergarten die ersten Brocken mystischer Sprachen auf, und möchte man als Vater mit seinen Welterklärungen auf die Frage, ob man Spanisch spreche, unbedingt hören „¡Todo lo que va, vuelve!“? Das möchte man natürlich nicht und sucht nach ferneren Ländern.

Irgendwann wird auch in Usbekistan der Euro eingeführt werden und Ryanair fliegt dann hin für neunzehn Euro. Inklusive Gebühren. Aber bis es soweit ist, taugt das Land. Wenn das Kind also mal wieder ein wenig Unsinn im Kopf hat und nicht wirklich zuhört, wenn ich mit ihm spreche, dann senke ich die Stimme und frage ernst: „Red’ ich usbekisch?“

Ich erwähnte schon, dass alles, was ich als Vater sage, gegen mich verwendet wird, und so kam auch diese meine Frage wenig später zu mir zurück, verstärkt noch durch eine Art Lautverschiebung: „Papa, red’ ich bubedisch?“ Und so heißt das jetzt bei uns, Familiensprache eben.

Bubedistan liegt übrigens südlich von Kasachstan. Und damit ich keinen Ärger mit dem Botschafter bekomme wegen Verunglimpfung oder so („Borat“ lässt grüßen), bekommen Sie hier jetzt noch etwas zu lernen: Bubedistan ist 447.000 Quadratkilometer groß, also deutlich größer als Deutschland (na, wissen Sie’s? Pisa-Studie... 357.000 qkm). In Bubedistan leben 27,3 Millionen Einwohner, also deutlich, na?, richtig: weniger als in Deutschland. Bubedistan reicht vom Aralsee bis Kirgistan. Das Land ist der drittgrößte Baumwollexporteur der Welt und bedeutender Förderer von Gold und Erdgas. Die Hauptstadt heißt Taschkent, die gegenwärtige Währung So’m, und für neunzehn Euro bekommt man 18.706 So’m. Exklusive Gebühren.

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