Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundeinundfünfzig
Drei Dinge

Morgens ist ja meistens eher wenig Zeit (um es nett zu formulieren...), und trotzdem sind da einige Dinge, die nach dem Frühstück getan werden wollen oder gar müssen, bevor wir uns auf den Weg zur Schule machen. Rätselhafterweise sind es immer genau DREI Dinge, die in den letzten fünf Minuten noch getan werden wollen oder gar müssen, aber egal. Diese drei Dinge können ganz unterschiedlich sein – je nachdem, was das Kind schon erledigt hat, an was es selbst schon gedacht hat.

Einige Beispiele: Hast du deine Meerschweinchen gefüttert?! Wo ist deine Haarbürste?! Hast du dir die Zähne geputzt?! Hast du überhaupt Hausaufgaben gemacht?! Warst du schon auf Toilette?! Hast du deine Brotdose eingesteckt?! Ist der Turnbeutel gepackt?!

Nun ist eine Sechsjährige so gereift, dass sie auf dergleichen dämliche väterliche Fragen nicht einfach nur mit Ja oder Nein antwortet und zur Tagesordnung übergeht (also zu den drei viel wichtigeren Fragen: Wo ist Teddy? Wird Lüzia in der Pause mit mir spielen? Hat Papa mir wieder so ein ekliges Pausenbrot gebastelt?). Nein, eine Sechsjährige ist in der Lage, die hinter den Fragen lauernden Aufforderungen zu verstehen: Füttere deine Meerschweinchen! Kämme dich! Putz dir die Zähne!

Ich habe aber die Beobachtung gemacht, dass von den drei morgendlichen Aufforderungen immer nur eine ausgeführt wird. Sprich: eine weitere Aufforderung muss ich mindestens einmal wiederholen, die dritte sogar noch ein Mal. Und auch dann ist nicht garantiert, dass sie umgesetzt werden, denn der Ablenkungen sind viele: Wo ist Teddy? Wird Lüzia in der Pause usw.

Die einfachste Lösung wäre es natürlich, einen Wunsch zu äußern, auf die Erfüllung zu warten, die nächste Bitte zu formulieren, auf die Umsetzung zu warten und so fort. Was aber nicht geht, denn gleichzeitig muss ich selbst ja auch noch mal schnell auf Toilette, meine Schuhe anziehen, den Autoschlüssel suchen, den Zettel finden und unterschreiben, den das Kind längst schon in der Schule hätte abgeben sollen etc.

Also werden meine drei Wünsche an das Kind in einen einzigen Satz gepackt – nur, damit ich hernach feststelle, dass das Kind zwar die Meerschweinchen gefüttert hat, aber immer noch barfuß, ungekämmt und ohne Jacke in der Küche steht und eine Fliege beobachtet, die den Minutenzeiger unsere Küchenuhr erklimmt.

Allerdings habe ich irgendwann festgestellt, dass es auf unterschiedliche Faktoren ankommt bei der Frage, welche Tätigkeiten getan und welche ignoriert werden. Es ist nämlich keineswegs so, dass das Kind immer nur die dritte Aufforderung von dreien befolgt, weil sie diese eben zuletzt hört und die davor geäußerten praktisch im Hören schon vergessen hat, weil ja gleich die nächste hinterherkam. Ein einfacher Test: Egal an welcher Stelle Sie den Hinweis auf einen völlig ungeschützt herumliegenden Schokoladenkeks platzieren – dieser Hinweis wird in jedem Fall gehört werden.

Ich beschloss, der Sache systematisch auf den Grund zu gehen: Sechs Wochen lang habe ich sämtliche denkbaren Varianten durchgespielt und die Erfolge (und die Misserfolge, weiß Gott!) in einem kleinen dunkelgrünen Notizbuch festgehalten. Aus meinen Beobachtungen konnte ich Regeln ableiten, die ich Ihnen hier und heute präsentieren möchte.

Heute? Nächste Woche.

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