Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

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Folge einhundertundzweiundfünfzig

Drei Dinge, acht Regeln

 

Letzte Woche wurde beiläufig ausgeführt, dass des morgens drei Dinge zu tun sind und das jeden Morgen die Zeit knapp ist und knapper wird, bis das rote Auto vom Hof rollen muss in der Richtung der Schule.

Ich kann keine Lösung anbiete, wie Sie Ihr so ganz eigenes Kind dazu bringen können, morgens ohne Zögern seine so ganz eigenen drei Dinge zu tun. Jedoch habe ich im Laufe der Zeit aus meinen Bemühungen und Beobachtungen acht Regeln abgeleitet, die auch Ihnen helfen mögen.

Regel eins: Die Aufforderungen an das Kind müssen attraktiv sein! Verpacken Sie sie in spannende Geschichten! Spielen Sie Theater! Wälzen Sie sich auf dem Küchenfußboden, um ein verzweifelt hungriges Meerschweinchen zu mimen. Machen Sie aus den Aufgaben ein geheimnisvolles Rätsel. Und spielen Sie das allseits beliebte Spiel „Dann-trag-ich-dich-eben-zur-Zahnbürste“.

Regel zwei: Dass das Wetter Einfluss auf den Tatendrang hat, kennen Sie von sich selbst, das Wetter aber ist nicht zu ändern. Dennoch sollten Sie bei starkem Ostwind die Aufforderung, die Meerschweinchen zu füttern, ans Ende stellen. Sonst drückt der Wind den Regen dem Kind auf dem Weg zum Stall direkt ins Gesicht, und gleich ist alles verloren.

Regel drei: Die Laufwege müssen bedacht werden. Will das Kind der Aufforderung, die Meerschweinchen zu füttern, tatsächlich folgen, kommt auf dem Weg aber an dem völlig ungeschützt herumliegenden Schokoladenkeks vorbei, na ja, klar, was dann passiert und wer danach weiterhin Hunger haben wird.

Regel vier: Drei Anweisungen, die in drei verschiedene Richtungen führen, sind nicht hilfreich. Besser: Von A nach B nach C. Bedenken Sie zugleich, dass auf dem Weg von B nach C der Schokoladenkeks passiert werden muss!

Regel fünf: Die Aufforderungen müssen logisch aufeinander aufbauen. Die Lösung für Rätsel Nummer drei darf nicht möglich sein ohne die Lösungen der Rätsel eins und zwei. Ein Beispiel: Wenn das Kind vergessen hat Strümpfe anzuziehen, ist es sinnvoll, erst auf die fehlenden Strümpfe und dann auf die notwendigen Straßenschuhe hinzuweisen. Sonst zieht es sich die Schuhe an und wird dann an den Strümpfen scheitern, die ja jetzt schon keinen Sinn mehr machen. Was redet Papa da für einen Quatsch? Ich soll Socken über die Schuhe ziehen?

Regel sechs: Gut Ding will Weil’ haben. Berücksichtigen Sie immer auch die notwendigen Zeiten. Bei einem Kind, dass zum Zähneputzen bis zu fünfzehn Minuten benötigt, sollte das Zähneputzrätsel das letzte der drei väterlichen Rätsel sein, sonst vergisst es während des Putzens die ersten beiden.

Regel sieben: Machen Sie es launig oder sportlich oder sonst wie, aber vermeiden Sie in jedem Fall konkrete Tempovorgaben – auch wenn es sehr sehr schwer fällt! Wendungen wie „mach mal schnell“ oder „jetzt endlich“ sind Kleister im Getriebe eines Kindes. Besser sind also launige Hinweise wie „Oh, die Küchenuhr ist kaputt!“ oder sportliche Angebote wie „Ich wette, du schaffst es nicht dir die Zähne zu putzen, bevor ich die Küche renoviert habe!“

Kurz und gut, es ist praktisch unmöglich, alle Regeln zugleich anzuwenden und dennoch in der morgendlichen knappen Zeit die drei Dinge erledigt zu bekommen. Deshalb ein letzter Tipp:

Füttern Sie die Meerschweinchen einfach selbst!

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