Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundvierundfünfzig
Jungs und Puppen

In der vergangenen Woche hatte ich begonnen, das eine oder andere ältere Thema zu aktualisieren. Denn entwickelt sich ein Kind nicht fortwährend weiter? Lag es nicht eben noch in Windeln gewickelt auf dem Plaid und geht jetzt schon in die Schule? Notwendigerweise musste ein solches Update mit Teddy beginnen, denn Teddy wurde dem Kind in die Wiege gelegt, ist mithin das älteste Thema überhaupt und das wichtigste sowieso.

Das wird auch vom Kind so gesehen. Das hat jetzt ein „Freunde-Buch“. Freunde-Bücher sind der Renner auf dem Schulhof, jedes Kind hat so ein Büchlein und reicht es herum. Die Freunde kleben dann ein Foto von sich hinein und schreiben von ihren Hobbys und was sie gar nicht essen mögen und dergleichen Dinge mehr. In einem Freunde-Buch verrät der Besitzer des jeweiligen Buches auf den ersten Seite erstmal etwas von sich. Bei meinem Kind findet sich unter „besondere Kennzeichen“ der schlichte Eintrag: „Teddy“. Ja, so wird es später auch im Personalausweis stehen.

Für das Kind war es unvorstellbar: Ohne Teddy in die Schule? Elterliche Ängste, dass wilden Viertklässler in der großen Pause Teddy für Spott ge- und als Fußball missbrauchen könnten, erwiesen sich – bisher, gottlob – als typische elterliche Ängste, die mit der Realität mal wieder GAR nichts zu tun haben. Hoffen wir, dass es dabei bleibt...

Nun aber bleibt die spannende Frage, wie lange Teddy ein getreuer Begleiter bei allen, aber auch wirklich allen Abenteuern sein wird. Bis zum Ende der Grundschulzeit? Bis in die Pubertät hinein? Wird er das Kind zum ersten Vorstellungsgespräch begleiten, gar in die Chefetage eines multinationalen Konzerns? Oder wird er seine Karriere ein Ende finden in dem Moment, in dem ein Jüngling oder Mann oder Kerl sagt „Der oder ich!“? Ich wage die Prognose: Der Jüngling wird gehen – müssen...

Nun ist der Weg eines jeden Jünglings geprägt von Triumphen, das ist gerade in unserer Küche zu beobachten. Ausgerechnet Lelle, jene geliebte bonbonrosafarbene Puppe, die vor langer Zeit einmal die im Kindergartenbus entbeinte Lara ersetzen sollte (siehe Folge 19), spielt die tragende Rolle.

Denn Lelle ruht im Arm des Ganzlütten, der Ganzlütte lächelt selig, Lelle schließt hingebungsvoll die Augen. Sie kann allerdings auch gar nicht anders, denn sie hat Schlafaugen, die ihr von selbst zufallen, auch wenn der Ganzlütte ihren Schädel kraftvoll auf den Küchentisch donnert. Das tut er gerne. Und dann küsst er sie mit der Erfahrung eines Anderthalbjährigen. Jungs spielen nicht mit Puppen? Dass ich nicht lache!

Zu dieser Liebe aber konnte es nur kommen, weil das Kind sechs Tage Urlaub gemacht hat bei Oma und Opa. Lelle blieb daheim, auch eine Sechsjährige kann nicht sämtliche Stofftiere und Puppen auf Reisen mitnehmen.

Am Wochenende war das Kind wieder zuhause. „Wie war’s?“ „Schön!!“ „Und was habt ihr gemacht?“ „Alles Mögliche!!“ Dann betrat es die Küche, sah den Bruder, sah Lelle in dessen Armen. „Das ist MEINE Puppe!!“

Der Ganzlütte freute sich, die Schwester zu sehen, und versuchte gleichzeitig mit der Erfahrung eines Anderthalbjährigen die große Puppe hinter seinem Rücken zu verstecken. Sechs Tage intensiv gelebte Liebe sind vor dem Zeithorizont eines achtzehn Monate währenden Lebens ja schon eine prägende Spanne.

Das kann heiter werden, morgen, bei uns in der Küche!

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