Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundsechsundfünfzig
Das war aber jetzt ironisch?!

Wir wissen ja, wie wichtig Regeln und Grenzen sind für Kinder. Also heute noch einmal zum Thema Verkehr, dem oberschlauer Beifahrer hinten im Kindersitz und dem zu ihm gehörenden Schlachtruf „Schneller!!“. Da rollt unser Auto vor dem Supermarkt geschmeidig auf eine Lücke zu – wenn nicht ein anderer noch vor uns wäre und sich ganz offensichtlich nicht entscheiden mag für diese oder jene Parklücke oder doch hier oder links oder ich-weiß-auch-nicht. Ich trommle leicht mit drei Fingern auf dem Lenkrad herum und murmele halblaut vor mich hin „hallooo?!“, da tönt es vernehmlich von hinten: „Fahr zu, Meister!!“ Die Formulierung kam mir bekannt vor.

Denn ich verwende beim Fahren gerne mal die eine oder andere kleine Aufforderungen und auch launige Formulierungen wie „hübscher Parkplatz!“, wenn einer komplett im Wege steht, oder „Oh, du hast dein Kind verloren!“, wenn einer mit Designerbrille nur mal eben schnell was einkaufen will und meinen Mutter-Kind-Parkplatz vor dem Supermarkt blockiert. Klar, all das meine ich ironisch.

Wir wissen, wie wichtig Regeln und Grenzen sind für Kinder, doch was ist, wenn mit Regeln und Grenzen spielerisch umgegangen wird, wenn Ironie ins Spiel kommt und mildes Lächeln? Wenn der Boden der Wirklichkeit und Wahrheit zu schwanken beginnt?

Vor vielen Jahren, als ich noch völlig kinderfrei war, wollte mir ein befreundeter Vater erzählen, dass kleine Kinder keine Ironie verstünden. Das ist natürlich Blödsinn.

Es kommt nur darauf an, wie viel Übung das Kind hat und ob die Ironie im vertrauten Tonfall ankommt. Ironie ist bei mir und dem Kind gang und gäbe, nicht nur bei der Parkplatzsuche, und das Kind kennt sich gut darin aus: Den hauchzarten Unterschied zwischen „Nimm dir ruhig!“ und „Nimm dir ruhig!“ bei der Frage nach Schokoladenpudding weiß es zu erkennen. Sollte es besser auch, „sonst setzt es etwas!“ „Papa?? Das war aber jetzt ironisch?!“ „Aber neieieiein!“ Aber das.

Kleiner Tipp am Rande und aus tränenreicher Erfahrung: Verwenden Sie bevorzugt positive Ironie. Sagen Sie „Das ist ja eine total süße Puppe!!“, wenn Sie die Puppe hässlich finden: Das Kind kennt Ihre Ironie und weiß sie zu deuten, weiß auch um Ihren Geschmack und erkennt: Papa mag die Puppe nicht so sehr.

Sagen Sie aber „Boah, ist die hässlich!“, wenn Sie sie doch eigentlich sehr schön finden, dann wir dasselbe Kind in Tränen ausbrechen, weil es Ihre Ironie überhaupt GAR nicht versteht und folglich umgehend verzweifelt.

Es ist tatsächlich erwiesen: Werfen Sie einem hoch im Baum herumturnenden Kind ein lockeres „Halt dich gut fest!“ zu, wird es sich eher gut festhalten. Rufen Sie – vielleicht etwas weniger locker – „Fall bloß nicht runter!“, wird es eher runterfallen. Statistisch betrachtet. Ob bei diesem Problem wiederum die ironische Verdrehung hilfreich ist? „Na, dann fall mal schön runter!“ Sie können es ja mal ausprobieren und mir berichten...

Aus der Verwendung von Ironie ergibt sich jedoch ein anderes Problem: Kinder brauchen ungefähr vierzehn Tage, um sich den richtigen Tonfall abzulauschen und den Spieß sorgsam umzudrehen. Und dann locken sie uns in alle Fallen mit der herzallerliebsten Mischung aus Ironie, mildem Lächeln, Schwindelei und, natürlich, dem treuherzigsten Augenaufschlag aller Zeiten.

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