Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

plus Download

 

Folge einhundertachtundfünfzig
Väter, Männer, Weihnachten

Männer ohne Nerven, Väter der Klamotte oder gar „Väter ohne Nerven“ – letztlich wirft einen all das wieder auf die Frage: Wann ist ein Mann ein Mann? Wir hatten das Thema in den Anfangstagen dieser Kolumne, in Folge drei. Das Kind war klein und ich war auf der Suche nach meiner Rolle. Heute ist das Kind „groß“ und ich bin immer noch auf der Suche – wieder ist es also Zeit für die Aktualisierung eines alten Themas, für ein Update.

Wann ist ein Mann ein Mann? Eine berechtigte Frage, wenn man als Vater und Hausmann nur begrenzt den gängigen Klischees entspricht. Nun, die Klischees könnte ich ausgesprochen bildhaft konterkarieren mit der Schilderung familiären Zustände während der letzten Magen-Darm-Infektions-Welle, die der Ganzlütte aus der Krippe mitgebracht hat. Doch ich werde das lieber nicht tun aus Rücksicht auf diejenige, die von den Ausläufern der Welle noch betroffen sein werden.

Da lagert nun das Kind noch leicht glasigen Blickes auf dem Sofa unter der Decke, ganz männlich reiche ich Zwieback und Kamillentee. Alles andere habe ich schon erledigt.

Und nun darf das Kind fern sehen, verlangt wird eine DVD mit Pippi-Langstrumpf-Geschichten. Im Verlauf der zweiten Folge stabilisiert sich der Blick, da kommt auch schon ein ganz lockeres „Ich bin Pippi!!“ Ja, mein Schatz, auch wenn du gerade nicht ganz so stark aussiehst wie Pippi. Und jetzt trink bitte noch ein bisschen von dem magenschonenden Tee.

Wenn das Kind dann im Laufe des frühen Abends mit mir Armdrücken will, „wie die echte Pippi!!“ mit ihrem so bärenstark-männlichen Vater – so lasse ich es gewinnen, gewonnen haben wir alle: Das Kind ist auf dem Wege der Genesung.

Aber wer ist die „echte Pippi“?! Wo lebt sie, wo steht die Villa Kunterbunt?! Filme nach Büchern, die wiederum auch nur ausgedacht sind, weshalb der Film besonders echt aussieht – das ist ja auch für viele Erwachsene schwer zu begreifen ...

Vor drei Jahren waren wir im Urlaub auf Gotland und in der kleinen Stadt Visby. Genau dort sind viele der Filme gedreht worden, die das Kind heute so gerne sieht. Die alte Stadtmauer, die Gassen und kleinen Haus ... Ohne auch nur ahnen zu können, was eine Sechsjährige erinnert von dem, was sie als Dreijährige erlebt hat: Eine gewisse Vertrautheit mit den Äußerlichkeiten, eine vage Erinnerung mag da sein. Das Kind weiß, dass die echte Pippi in Schweden lebt und gleichzeitig eine ausgedachte Buchfigur ist. Kein Widerspruch in einem Kinderkopf.

Bei Kinder kommen Phantasie und Realität oft so schön Hand in Hand daher. Sicher – es ist die Jahreszeit dafür – haben wir unserem Kind niemals etwas vom Weihnachtsmann erzählt und genauso sicher erzählen hundert andere Leute einem Kind hundert andere Sachen. Unter anderem die Sache mit dem Weihnachtsmann. Es gibt Kinder, die glauben an den Weihnachtsmann, und es gibt Kinder, die glauben an die Eltern. Unser Kind schafft beides, es schreibt zwei Wunschzettel: Der eine wird den Eltern überreicht, der andere liegt bereit für den Weihnachtsmann.

Ich mache mich an die Analyse: Was wird uns zugetraut, welche Geschenke sind dem Weihnachtsmann zugedacht? Wird ihm mehr zugetraut als uns? Überhaupt: Wann ist ein Weihnachtsmann ein Weihnachtsmann? Noch vier Wochen...

zurück