Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge einhundertundsechzig
Der kleine Fernseher

Sonnabend, kurz vor sechs Uhr abends. Ich überlege, ob und wie ich die Sportschau in den Familienalltag einbinden kann. Was ich jede Woche überlege und was jede Woche unmöglich ist: Der interessante Teil der Schau beginnt um 18.20 Uhr, der interessante Teil des Tiere-und-Kinder-Abfütterns beginnt um 18.15 Uhr.

Jedenfalls grüble ich da so herum, stapft der Ganzlütte vorbei mit der Fernbedienung des Fernsehers am Ohr, spielt Telefon und gackert vergnügt vor sich hin. Dann sieht er mich und meinen Gesichtsausdruck („Fußball!!“, denke ich) und versteckt die Bedienung schnell hinter seinem Rücken („meins!!“, denkt er).

Ja, so sind sie, die lieben Kleinen, sie sehen uns Erwachsene ständig telefonieren und ahmen das – wie alles andere auch – gerne nach: mit dem echten Telefon, was teuer werden kann, oder mit der Fernbedienung von irgendwas. Wenn gerade keine Fernbedienung greifbar ist, tut es auch eine Packung Taschentücher am Ohr.

Aber wo ist die Fernbedienung? Die muss ich suchen. Natürlich habe ich meine Erfahrungen und weiß, in welchen Spielzeugkisten ich die Suche beginnen sollte, um schnell fündig zu werden. Warum eigentlich ist immer genau die Fernbedienung weg, die ich gerade brauche? Also die vom Fernseher oder die vom DVD-Abspielgerät oder die vom Receiver. Auch ein Grund, wenig fernzusehen: Muss ich nicht so oft suchen...

Der Fernseher spielt ohnehin keine große Rolle in unserem Leben. Zu den tradierten Familiengeschichten gehört auch eine mit Fernseher. Es geschah vor dann auch schon einigen Jahren, als wir hier ins Pastorat im Westwind einzogen. Der Möbelwagen quälte sich rückwärts die Warft hoch, die Packer begannen ihr Werk und verstopften mit zahllosen Bücherkartons und Regalteilen alsbald jeglichen Zugang zu unserem neuen Heim. Irgendwann tauchte aus den Tiefen des Lastraumes auch unsere kleine Glotze auf, und der, der sie trug, frug, wo denn „der kleine Fernseher“ hinsolle. Wir antworteten, es handele sich um nicht „um den kleine Fernseher, sondern um den Fernseher, und der solle in unser zukünftiges Wohnzimmer. Dort verschwand er zwischen den ganzen Bücherkartons und ward für einige Tage nicht gesehen.

Offenbar haben Möbelpacker normalerweise größere Geräte zu packen. Unser kleines Teil war wohl eher was für die Küche oder für’s Schlafzimmer oder gar für’s Kinderzimmer. Für’s Kinderzimmer? Es steht mir nicht zu – zumindest nicht auf der Unterhaltungsseite dieser Zeitung – dieses oder jenes Leben zu tadeln oder zu loben oder irgendwie zu kommentieren.

Und, ja, ich gebe zu: Ich bin ja auch nur ein Mensch. Ja, ich gestehe, ja, ich habe den Ganzlütten schon zum Kind vor die Glotze gesetzt, Sonntag später Vormittag (nach dem Kirchgang natürlich...), und die beiden haben die Sendung mit der Maus gesehen. So war zumindest der Plan, und zu ihm gehörte auch eine Tasse Kaffee, adventliches Gebäck und die Zeitung.

Allerdings fand der Ganzlütte das nach einer gewissen Zeit etwas langweilig und hat dann gewissenhaft mit der Fernbedienung auf den Fernseher eingedroschen. So könne es nicht weitergehen, fand ich. So könne es nicht weitersehen, rief das Kind. Also habe ich ihn da wieder weggezerrt.

Schluss mit Fernsehen für kleine Kinder! Doch ganz so einfach ist das nicht...

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