Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

Folge sechszehn
Nur Frauen??

Vor vielen Jahren stellte mir die Urgroßmutter des Kindes einige zweifelnde oder sogar verzweifelte Fragen: „Kannst du denn wickeln / füttern / pudern / Fläschchen geben?“, siehe Folge eins dieser Serie. Und immer wieder einmal stellt sich zweifelnden Mitmenschen die Frage, ob meine Frau das eigentlich verantworten kann: Einerseits berufstätig sein und andererseits das Kind auch noch groben männlichen Händen überantworten?!

Für zweifelnde Mitmenschen ist die Antwort klar, das kann sie unmöglich verantworten, und für meine Frau ist die Antwort ebenso klar: Sie kann das sogar gut. Ich selbst verwundere mich gerne darüber, dass meine Frau gelegentlich gefragt wird, wo sie denn eigentlich das Kind lasse, ihre männlichen Kollegen genau das aber sehr selbstverständlich niemals gefragt werden: „Oh Gott, und ihre Frau ist jetzt mit dem Kind allein zuhaus?“ Nun ist also der Vater mit dem Kind allein zuhaus, und also obliegen ihm Wickeln, Füttern, Pudern und Fläschchengeben.

Unsere Vierjährige braucht all das gar nicht mehr, sondern geht auf Toilette, wenn sie ein Bedürfnis verspürt, schenkt sich ein, wenn sie Durst hat, und plündert Kühlschrank und Küchenschrank, wenn der Blutzuckerspiegel unter ein gewisses Niveau sinkt. So bin ich als Vater der Vierjährigen für ganz neue Dinge zuständig – was aber nicht weniger Arbeit ist: Toilette putzen, Kühlschranktür mehrmals täglich schließen, bevor die alte Kiste kollabiert, quer über den Tisch gegossenen Apfelsaft aufwischen und den Hund aus dem Küchenschrank zerren, bevor dessen Blutzuckerspiegel über ein gewisses Niveau steigt.

Man weiß, dass ein Kind, das zur Gänze von seiner Mutter betüdelt wird, weil der Vater tagsüber arbeitet – ich habe von solchen Fällen gehört! –, eben dieser Mutter anhängt. Und folglich denkt Mann auch, dass ein Kind, das die meiste Zeit von seinem Vater betüdelt wird, weil die Mutter arbeitet, eben diesem Vater anhängt.

Dem ist aber nicht so! Die Forschung wird es uns Berufsvätern irgendwann erklären können, fürs erste bleibt uns nur die Erfahrung: „Mama soll mich anziehen!!“, „Mama soll mich ins Bett bringen!!“, „Mama soll mich vom Kindergartenbus abholen!!“ und, natürlich, auch gerne mit starkem Tränenfluss: „Mama, wann kommst du wieder??“

Diejenigen, die sich jetzt innerlich die Hände reiben und denken „siehste woll, Kinder sind Frauensache, das ist eben so festgelegt irgendwie biologisch“, die haben sich zu früh gefreut. Denn es kommt anders: Für einige Tage musste ich nach dem sehr südlich gelegenen Ravensburg reisen, mein krankes Patenkind zu hüten. Die Mutter meines Patenkindes ist übrigens voll berufstätig, aber das nur am Rande.

Wohlweislich konfrontiert man die eigene Vierjährige nur sehr kurzfristig mit einem solch fundamentalen, wenn auch vorübergehenden Entzug einer nicht ganz unwesentlichen Bezugsperson. Das väterlich betüdelte Kind ging die Sache dann recht schmerzfrei und praktisch an:

„Und wer passt auf mich auf, wenn du in Ravensburg bist?“
„Naja, Mama ist ja da. Und nachmittags, wenn Mama nicht da ist, spielt Lotta mit dir. Und übermorgen kommt auch schon Oma Marion zu Besuch.“
„Und die passen alle auf mich auf?“
„Ja, mein Schatz.“
„Nur Frauen??“

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