Rainer Kolbe - Das Kind

 

170 Ganz gesundes Frühstück

Seit der Folge siebenunddreißig „Gurke geht“ 37 ist einige Zeit vergangen. Viele Wellen sind an den Strand und manche auch an den Deich geschlagen. Viele Dinge haben sich geändert und gewandelt, in meinem Leben, in Ihrem Leben, im Leben des Kindes.

Nur eine Sache hat sich nicht geändert: Gurke geht immer noch, jegliches andere Gemüse kann Probleme im Hausfrieden bereiten, Fleischwurst wird gerne genommen und Obst GAR nicht. Ausgenommen davon sind Erdbeeren. Erdbeeren?

An die kam das Kind bei einer guten Freundin, nachdem unsererseits alle Versuche mit diesen wohlschmeckenden Früchten gescheitert waren. Erdbeeren würde das Kind nun gerne allezeit essen. Allerdings weigern wir uns, an sich heimische Früchte außerhalb ihrer Saison zu kaufen, wenn sie aus Südafrika oder sonst woher im Flugzeug herangeschafft werden müssen. Selbst wenn sie aus dem Heiligen Land kommen, sind sie bei uns tabu.

Wer bei einer Freundin Erdbeeren geschmacklich kennen und dann auch noch schätzen lernt, kann bei anderen Freundinnen vielleicht, hofften wir, sogar mal einen Apfel... Die Erdbeeren also als ein Beispiel, das Schule machen kann.

Ein Beispiel auch, wie es die Schule machen kann. Dachten wir. Denn in der Schule gibt es das „gesunde Frühstück“. Wir waren so etwas ja gewohnt aus dem Kindergarten, da gab es zweimal in der Woche Müslifrühstück und an den anderen drei Tagen das „Kinderrestaurant“. Ich musste morgens weder Brot schneiden noch Gurken schnippeln, konnte drei Minuten länger schlafen als die Väter von Kindern, die in andere Kindergärten gehen, und das Kind war trotzdem gesund ernährt.

Nur ist unser Kind nicht mehr im Kindergarten, es geht eben zur Schule. Dort gibt es so etwas ähnliches, nämlich das „gesunde Frühstück“. Allerdings gibt es das nicht täglich, sondern einmal im Monat... Die Kinder dürfen an diesem einen Tag keines der schrecklichen Pausenbrote von zuhause mitbringen, sondern sollen sich gesund ernähren. Leider hat die Schule keine eigene Köchin wie der Kindergarten, denn die Kinder gehen üblicherweise mittags nach Hause, wenn sie nicht gerade von ihren Eltern vergessen werden, wie es uns neulich passiert ist, doch das ist eine andere Geschichte.

Keine Köchin heißt: Die Eltern müssen ran. Und also stehe ich jetzt – glücklicherweise nicht täglich, sondern einmal im Monat... – mit einem Dutzend anderer Mütter in der Schulküche und schneide dunkles kräftiges Brot und schnippel Gurken, laibweise, sackweise. Dazu gibt es Obstspieße, große Schalen voll Paprikastreifen, Biogrießbreie und selbstgebackene Vollkornbrötchen. Zur Belohnung für die gesunde Ernährung dann einen Becher Kakao.

Es gongt zur Pause, man hört die erste Horde nahen, immerhin geht das klassenweise, damit das Schulgebäude keinen Schaden nimmt. Ganz vorne an, zügigen Schrittes, lebhaft plaudernd mein eigenes Kind. Ein „Hallo Papa!!“ streift mich, dann steht sie am Büffet und wählt mit sicherer Hand – ein recht hell geratenes Brötchen mit Fleischwurst und ein weiteres recht hell geratenes Brötchen mit Mortadella, zwei Gurkenscheiben und einen Becher Kakao. Ein „Tschüß Papa!!“ streift mich, weg ist sie, zügigen Schrittes, lebhaft plaudernd. Das üppige Angebot an Alternativen zu Fleischwurst – hier vorgelebt von Nunu, der allerbesten aller Freundinnen – es nützt alles nix und macht keine Schule.

Aber immerhin weiß ich nun, warum mein Kind eines der Kinder ist, die immer als erstes in der Küche ankommen. Ein alter Hut: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Es könnte ja sein, dass am Ende nur noch Obstspieße zu haben sind...

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