Rainer Kolbe - Das Kind

 

172 Gestern, im Restaurant

Können Männer kochen? Aber klar. Ich koche uns was Feines, lasse Kreativität walten, drei Schüsseln stehen auf dem Tisch, es riecht, sagen wir: geheimnisvoll. Das Kind schnuppert argwöhnisch. „Papa, was ist das??“ Kleine Pause. „Kenn ich davon was??“ Kleine Pause. „Am liebsten würde ich nur was trinken!!“ Ich hab mir so viel Mühe gegeben. „Papa... das schmeckt merkwürdig...“ Das Kind hat Recht.

Und wenn die Lieblingspastorin dann auch keine Lust hat zu kochen, gehen wir essen. Nun wohnen wir ja nicht gerade urban. Genauer gesagt gibt es nur drei Alternativen zum Selbstkochen: ein kleines Restaurant in unserem Dorf, eine Kneipe weiter nördlich, kurz vor dem Deich, und ein weiteres Restaurant weiter südlich, kurz hinter (!) dem Deich. Heute aber bleiben wir im Dorf und tippeln und schieben die Straße entlang, bei der Freiwilligen Feuerwehr rechts rein, vorbei an der „Frisör-Galerie“ und am Bäcker, schon sind wir da.

Dezentes Licht, knisterndes Kaminfeuer, gedämpfte Gespräche, man nippt an geschliffenen Gläsern, wir rumpeln rein. Das Kind kennt sich aus: Es hängt die Jacke an den Haken und verschwindet umgehend in der Küche, der Koch ist ihm bekannt, der ist ja von hier. In der Küche lehnt es in einer Ecke, stellt alle möglichen Fragen, erzählt kompromittierende Geschichten von zuhause und bekommt etwas zugesteckt als Vorspeise. Und wenn es doch mal im Weg steht und weggeschickt wird, stöbert es die schon etwas ältere Tochter vom Pächter auf und zwingt sie zum Würfelspiel.

Wir Eltern haben uns derweil häuslich eingerichtet, häuslich heißt: in allernächster Nähe der Spielecke. Mit langem Arm hole ich von dort Stifte und Papier und Lego und was der Kleinkindbeschäftigen mehr sind, um den Ganzlütten bei Laune zu halten, bis das Essen naht. Hat der Ganzlütte ein Bild fertig gemalt (fünf Sekunden) oder langweilt ihn das Spielzeug (Trecker vier Minuten, alles andere fünf Sekunden), werden Stifte oder Spielzeug mehr oder weniger diskret über die Kante des Tisches gekippt, so dass die Lieblingspastorin und ich mitten im Gespräch blitzschnell in die Luft greifen, bevor wieder irgendwas auf den Fußboden kracht und das Kaminfeuer irritiert, während wir gleichzeitig unser angeregtes Gespräch über die Belange der Welt fortsetzen. Mit der Linken in die Luft greifen und abfangen, mit der rechten das nächste Spielzeug reichen, sich dabei gleichzeitig intelligent unterhalten – eine Art elterliche Tanz, man ist da irgendwann geübt. Na ja, ab und an kracht natürlich doch mal was auf den Boden, und dann zucken alle in dem kleinen Restaurant zusammen und werfen komische Blicke.

Besuch in der Küche und Stifte runter schmeißen – all das dient nur der Überbrückung der Wartezeit auf den Pfannkuchen. Denn egal, was es noch so Wohlschmeckendes oder gar Gesundes auf der Speisekarte geben mag, im Restaurant nimmt der Kind sicherheitshalber Pfannkuchen. Und da haben wir für den Ganzlütten auch einen bestellt, da gibt es nicht Streit noch Geschrei.

Bemerkenswerterweise essen beide Kinder ihren Pfannkuchen auf! Bei einer Siebenjährigen erwarte ich das, sonst mache ich mir Sorgen. Bei einem Eindreivierteljährigem hatte ich das nicht erwartet und mache mir also Sorgen.

Nach dem Essen springt das Kind stuhlwerfend auf, um der Küche einen Besuch abzustatten und weitere Geschichten zu erzählen, während der Ganzlütte lautstark nach Spielzeug kreischt. Komische Blicke. Es ist Zeit zu gehen, um nicht in einer Art möbiusschen Schleife zu landen: Nach dem Essen ist vor dem Essen...

Warum eigentlich gehen Eltern mit kleinen Kindern ins Restaurant? Ich habe es vergessen.

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