Rainer Kolbe - Das Kind

 

173 Ostern ist zu früh

Vor ein paar Tagen war in einer überregionalen Tageszeitung in einer launigen Kolumne eine Klage zu lesen: Der Kolumnist wusste angesichts des frühlingshaften Ausbruchs der Natur nach so langem eis- und schneereichen Winter nicht, ob er zuerst das Motorrad aus dem Schuppen holen und auf Vordermann bringen oder die eingemottete Segelyacht von Plane und Staub befreien solle.

Sorgen haben die Leute! Wir denken da christlich bescheiden – und haben doch exakt das gleiche Problem: Ostern ist zu früh, weil der Winter zu lang war!

Nun steht Ostern natürlich im Kalender, und an sich ist das österliche Programm wie immer: Haupteinsatzzeit der Lieblingspastorin wegen der Vielzahl österlicher Veranstaltungen, Haupteinsatzzeit des Herrn Pastorin wegen der Vielzahl österlicher Gäste.

In diesem Jahr ist es irgendwie anders. Vor dreieinhalb Wochen lag noch Schnee im Garten, den vereisten Weg zur Mülltonne gingen wir mit Socken über den Schuhen, wir hüteten uns vor herabstürzenden Eiszapfen. Jetzt ist der Winter vorbei, jetzt erst: für das österliche Programm ist die verbleibende Zeit zu kurz!

Schnell wiesele ich durchs Haus: Alles muss raus! Wehe dem Schokoladenweihnachtsmann, dem ich noch begegne. Wehe den Glanzpapierengel. Und da: An elf (!) Fenstern prangen winterliche Motive, darunter sogar zweimal Maria und Josef samt Krippe. Nicht sehr österlich. Das sind Kinderfingerfenstermalfarben, da kratzt ich lange dran herum!

Die Diele, in der nach der Osterfrühandacht das Gemeindefrühstück stattfinden wird: aufräumen, die größeren Weben beseitigen, den Boden schrubben. Aber in diesem Jahr ist es irgendwie anders. In der Ecke stehen noch zwei Schlitten und eine Schneeschaufel, die waren ja auch gerade noch im Einsatz, im großen Korb liegen die Schneeanzüge der Kinder und dicke Fäustlinge. Noch nicht sehr österlich.

Und zur müffigen Matte des Hundes kommt die müffige Ecke der Meerschweinchen, die noch nicht wieder im Garten wohnen, weil ja vor Tagen noch Nachtfrost herrschte, Schnee lag und kein grünes Hälmchen sich zeigte. Das kennen die nicht, die Schweine, die sind ja von hier und nicht wie ihre Urväter aus den Anden.

Ein gesondertes Thema sind die Ostereier, die für mich und die für die Familie und die für die Gemeinde natürlich auch, denn nach der Osterfrühandacht ist ja auch noch Familiengottesdienst, und nach dem Familiengottesdienst ist das Ostereiersuchen im Pastoratsgarten.

Diese Eier sehr früh zu kaufen wäre schlau gewesen, widerstrebt mir aber zutiefst. Ich hätte sie Mitte Januar kaufen können, aber bei minus acht Grad im Schatten kauf ich doch keine Ostereier! Und Schnee und Eis lagen lange... Tja, und nun hoffe ich, dass noch genügend Ostereier da sind, wenn ich nachher einkaufen fahre. Sonst ist die Gemeinde unglücklich!

Vor dem Ostereiersuchen aber steht das Ostereierverstecken, und vor dem Ostereierverstecken der Kontrollgang durch den Pastoratsgarten. Es soll ja vorgekommen sein, dass der Hund in einem unbemerkten Augenblick in einer Ecke oder auch mittendrin etwas hinterlassen hat, was die Gemeinde nicht finden soll, was ich vorher finden muss. Auch das ist in diesem Jahr irgendwie anders. Zutage tritt, was Frost und Schnee lange konservierten. Nicht sehr österlich.

Alles in allem also ein volles Programm, ich sollte wirklich allmählich anfangen. Da kommt das Kind herein. „Du, Papa??“ „Ja.“ „Darf ich dich mal was fragen??“ „Frag.“ „Darf ich die Weihnachtsbilder von den Fenster abkratzen??“ „Gerne!“

In diesem Jahr ist es irgendwie anders.

laden
start