Rainer Kolbe - Das Kind

 

177 Reste aus dem Baumarkt

Es ist Wochenende. Die Sonne scheint, ich sitze im Garten. Die Meisen zwitschern, der Wind säuselt in den Ästen und schwere Hammerschläge erschüttern das Dorf: Das Kind arbeitet.

In Opas Keller durfte es sich eine kleine Werkzeugkiste zusammenstellen: Schrauben und Nägel und Haken, Bohrer und einen Hammer, verschiedene Schraubenzieher und eine Zange, Raspel, Säge, etwas Schleifpapier. Zudem fanden sich auch noch einige Holzreste. Da hockt das Kind vor dem Haus in der Sonne und gerät ins Schwitzen. Beleibe nicht wegen der Sonne Hitze, sondern wegen der Konzentration auf das Wesentliche. Mit der Zunge zwischen den Zähnen werden Leisten zersägt und wieder zusammengenagelt: Das wird ein Außengehege für die Spielzeugtiere.

Nun ist das Kind so wunderbar beschäftigt, dass ich allen Ernstes nicht nur den Wunsch verspüre, mir noch einen Kaffee zu kochen (den Wunsch verspüre ich öfter mal), sondern auch den, diesen Kaffee auf der kleinen Bank vor dem Haus in Ruhe zu trinken und dem Kind dabei bei der Arbeit zuzusehen. Doch daraus wird nichts.

Denn auch der Ganzlütte ist von der Werkzeugkiste begeistert. Nun soll man der Kinder Spiel sich ja entfalten lassen, auf dass sie neugierig bleiben ihr Leben lang und schlau werden obendrein. Und also lächle ich mild, als sich der Ganzlütte bückt, der Werkzeugkiste einen Zollstock entnimmt und mit großer Ernsthaftigkeit die rückwärtigen Leuchten unseres Autos vermisst. Als der dann mit ebensolcher Ernsthaftigkeit den Zollstock gegen einen mittelgroßen Hammer eintauscht, schreite ich ein, bevor er zur ultimativen Materialprüfung schreitet. Man soll es mit der Entfaltung des Spiel nicht übertreiben.

Irgendwann wird es Mittag, und nach dem Essen heißt es: Mittagspause! Also muss auch der Hammer pausieren. Der will aber nicht und also schleppt das Kind jetzt alles Holz und alles Werkzeug mit ungebremster Begeisterung hinters Haus. Erst der nachdrückliche Hinweis auf die mittags ruhende Seniorin im linken Nachbarhaus verschaffen auch mir eine Pause. Da aber der Nachbar im rechten Punkt 14 Uhr seinen Rasenmähertrecker anschmeißt, ist dem Kind eine Verlängerung der Mittagspause eher schwer zu vermitteln. Also gar nicht. Und schwere Hammerschläge erschüttern wieder das Dorf...

Am Nachmittag ist Nunu zu Besuch, sie ist ebenfalls begeistert und werkelt bald ganz eifrig mit. Doch dann kommt es, wie es kommen musste: Das Holz ist alle!

Also lade ich alle in unser Auto, wir fahren in den Baumarkt der nahe gelegenen Kleinstadt. Ich nutze die Gelegenheit herauszufinden, ob der mir noch fehlenden Raspelfräser mit Metallnadeln aus Wolfram-Karbid für meine Micromot 50/E endlich lieferbar ist. Derweil verschwinden die beiden Freundinnen im Hof. Dort steht nämlich ein Container mit Holzresten, Holztrümmern, Holzsplittern – ein Paradies für zwei bauwütige Kinder!

Irgendwann ist ihr Bedarf gedeckt – meiner nicht – und wir fahren wieder nach Hause. Gleich geht es weiter. Und nun sind die beide wieder so wunderbar beschäftigt, dass ich allen Ernstes nicht nur den Wunsch verspüre, mir ein Bier zu holen, sondern auch den, dieses Bier auf der kleinen Bank vor dem Haus in Ruhe zu trinken und den Kindern beim Arbeiten zuzusehen. Doch daraus wird nichts.

Denn jetzt biegt das Auto von Nunus Familie in den Hof, Zeit für den Trennungsschmerz. Vorher aber zeigt sich auch Nunus Mutter begeistert über die große Wanne mit Holzresten, Holztrümmern, Holzsplittern, die Nunu gerne mit nach Hause nehmen darf, kann, muss. Nunus Mutter hat nämlich gerade den eigenen Dachboden entrümpelt und diverse Reste, Trümmer, Splitter zum Recyclinghof gebracht ...

Aber ist das ein Problem? Wir betrachten unsere werkelnden Kinder. Nein, das ist es nicht!

 

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