Rainer Kolbe - Das Kind

 

183 Fußball, Tore, Bügelwäsche

Nur noch ein paar Stunden, dann geht es los: Der Ball ist rund, das Runde muss ins Eckige und ein Spiel dauert 90 Minuten. Ja, Fußball nervt. Bälle, Fähnchen, Vuvuzelas aller Orten. Sogar in der Apotheke bekomme ich einen Spielplan in Hand gedrückt.

Andererseits kann das Thema Fußball auch nicht völlig ignoriert werden, wenn man zwei Kinder hat. Im Garten liegen mehrere kleine Bälle, und der Ganzlütte tritt den einen, den der Hund noch nicht zerbissen hat, begeistert vor sich her. Übrigens kann er – ist eben ein Junge! – den Ball mit seinen zwei Jahren sehr viel besser treten als es seine Schwester mit zwei konnte.

Die ist inzwischen sogar sieben Jahre alt, aber nur mäßig am Ballsport interessiert. Und wenn Papa drei Tore hintereinander geschossen hat, gibt’s Tränen. Die dem Kind selbst auch keinen Spaß machen, weshalb flugs die Regeln dem Spielverlauf angepasst werden. Tore, die ich erziele, werden dann dem Kind zugerechnet. „Ich bin doch dein Kind! Du hast mich doch lieb, oder, Papa??“ Klare Sache.

Fußball aller Orten, sogar im Garten und in der Apotheke – da will sich auch Kirche nicht verstecken. In unserer Nachbargemeinde gibt es Public Viewing. Wie gut, dass nicht alle Spiele abends stattfinden, wenn die Kinder im Bett zu schlafen haben, sondern am späten Mittag oder nachmittags. Denn das Kind, das muss mit, ob es will oder nicht.

Seit einigen Wochen tönt es nämlich, dass es unbedingt für den HSV ist. Der Grund für die Leidenschaft des Kindes liegt aber eben nicht etwa im Interesse am Ballsport. Der Grund ist eher schlicht: Mio ist für St. Pauli und Mio nervt und also muss das Kind ein passendes Gegengift finden. Und ist also für den HSV. „Papa?? Bist du für den HSV oder für St. Pauli??“

So sehr Mio nervt: Natürlich bin ich für St. Pauli. Weil ich gerne anderer Meinung bin als mein Kind. Weil ich eine zeitlang auf dem Kiez gewohnt habe. Und weil St. Pauli ja gerade in die erste Liga aufgestiegen ist. Aber ich verspreche dem Kind, dass ich es mitnehme zum ersten Bundesligaspiel St. Pauli gegen HSV.

Da wird das Kind großäugig und fürchtet sich jetzt ein wenig vor den Menschen und den Massen. Ja, es ist schon ärgerlich, wenn man Eltern hat, die ihre Kinder zumindest gelegentlich ernst und beim Wort nehmen und aus einem Schulhofthema ein echtes Thema machen...

Vor dem ersten Spiel HSV gegen St. Pauli ist aber erstmal die Fußballweltmeisterschaft. Und ich freue mich sehr: auf geniale Spielzüge und schöne Tore. Aber ich freue mich auch auf dröge Null-zu-Null-Vorrunden-Kicks. Und warum?

Das kam so: Beim Pokalhalbfinale Werder gegen Augsburg hatte ich aus, sozusagen, modischen Gründen während des Spiels noch eine andere Sache erledigen, nämlich Bügeln. Und dabei habe ich festgestellt, dass die Bierflasche genau in die Mulde passt, die seitlich am Bügelbrett klemmt und eigentlich als Ablage für das Bügeleisen gedacht ist. Da kann Mann doch das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden!

Und bei den jetzt anstehenden 64 Spielen der Fußballweltmeisterschaft könnte ich es tatsächlich schaffen, einmal im Leben der gesamten Bügelwäsche meiner vierköpfigen Horde Herr zu werden. Mit diesem erklärten Ziel kann ich umgekehrt der Familie vermitteln, warum ich unbedingt alle 64 Spiele sehen muss...

Und dann sehe ich mich, wie ich das nächste Oberhemd aus dem Korb ziehe, während auf dem Bildschirm Griechenland und Nigeria einem drögen null zu null entgegendümpeln. Da kommt das Kind herein, weinend, blutend. Schnell zücke ich den Spielplan aus der Apotheke. Jetzt endlich ist er nützlich! Er enthält nämlich zwei Pflaster: Für jedes Knie eines.

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