Rainer Kolbe - Das Kind

 

185 Ponys Kastration

Irgendwann beginnt man als Vater ja zu schwanken zwischen der Erziehung des Kindes, der Fürsorge gegenüber der Kreatur und der eigenen Genervtheit. Muss ich wirklich JEDEN Morgen und JEDEN Abend erwähnen, dass das Kind zwei Meerschweinchen haben wollte und diese wiederum gefüttert werden wollen? War es nicht gestern und vorgestern und in den letzten Jahren eigentlich immer so? Kann ein siebenjähriges Kind das nicht erinnern?

Offenbar nicht. In Folge einhundertundzweiundfünfzig hatte ich geschildert, wie ich es unter Berücksichtigung von acht Grundregeln manchmal schaffe, dass das Kind morgens die Zähne putzt UND die Schuhe anzieht UND das Pausenbrot einzustecken nicht vergisst UND die Schweinchen füttert. Aber will ich den Morgen entspannter verbringen und mir nicht fortwährend den Mund fusselig reden, beherzige ich jetzt meinen damaligen Ratschlag: „Füttern Sie die Meerschweinchen einfach selbst!“

Doch des Kindes Fürsorge ist nicht erloschen. Im Sachkundeunterricht sind gerade Haustiere dran, und so ist die folgerichtige Frage nach der Schule: „Papa!! Wann wird Pony endlich kastriert?“ Stimmt, die Kastration, die hatte ich völlig vergessen. Ich muss ein wenig ausholen: Wir waren vor Jahr und Tag der Bettelei des Kindes erlegen und haben uns zwei Meerschweinchen zugelegt. Ganz bestimmt zwei Männchen, wie uns der schmunzelnde Landwirt versicherte. Ich setzte mich bei der Namensfindung durch gegen eine ganze Reihe von Namen, wie kleine Mädchen sie vergeben, „Prinz Rosarot“ und „Buntglitzer“ und dergleichen. Die Tiere hießen fortan Emil und Gustav, benannt nach den Helden Emil Tischbein und Gustav mit der Hupe aus Erich Kästners wunderbarem Roman „Emil und die Detektive“.

Es kam, wie es kommen musste, Emil wurde dicker und dicker und gebar alsbald drei wunderschöne kleine Meerschweinchenbabys. Der Name Emil aber blieb.

Leider paaren sich Meerschweinchen gerne und vermehren sich reichlich und nehmen dabei auch eher wenig Rücksicht auf zum Beispiel verwandtschaftliche Verflechtungen. Und wenn man für den Rest seines Lebens noch andere Ziele hat als unentwegt den Mist der sich weiter und weiter vermehrenden Meerschweinchenhorden zu schaufeln, dann muss der Tierarzt etwas grundsätzlicher werden. Gustav wurde also kastriert. Nebenbei: Meerschweinchen kosten im Ankauf fünf Euro, die fachmännische Kastration beim Tierarzt kostet fünfunddreißig Euro.

Nun ist Gustav in diesem Winter aber gestorben. Kleine Meerschweinchen werden unglücklich, wenn sie allein gehalten sind, und kleine Mädchen, die in der ersten Euphorie mehr Engagement versprechen, als sie im Alltag halten können, sind kein rechter Ersatz. Also besorgten wir ein neues zweites Meerschweinchen, ganz bestimmt ein Weibchen, wie uns der schmunzelnde Landwirt versicherte. Um bei Kästner zu bleiben benannten wir den Neuzugang Pony, nach Emil Tischbeins Cousine Pony Hütchen.

Na, Sie ahnen schon: So wie Emil nie Männchen war ist Emils Cousine auch kein Weibchen. Schnell wurde Emil dicker und dicker und gebar alsbald zwei wunderschöne kleine Meerschweinchenbabys, die wir Pünktchen und Anton nannten und glücklich zu Freunden abschieben konnten.

Da ich ja für den Rest meines Lebens noch andere Ziele habe als Meerschweinchenmist zu schaufeln, musste nun also Pony kastriert werden. Er hat die Vollnarkose überlebt, was bei Kleintieren nicht immer der Fall ist, und erholt sich jetzt noch ein paar Tage. Ende nächster Woche dürfen unser weiblicher Emil und unsere männliche Pony dann wieder gemeinsam durchs Gartengehege rennen und einträchtig nebeneinander Gras und Löwenzahn fressen. Oder was sie sonst noch so machen wollen.

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