Rainer Kolbe - Das Kind

 

187 Neuer Teddy. Neuer Papa.

Vor zwei Wochen wurde an dieser Stelle die Kastration von Emils Cousine behandelt. Einen Aspekt aber habe ich dabei schamvoll verschwiegen, nämlich die Kastrationsangst. Nicht die der Cousine natürlich, sondern die von Teddy.

Teddy langweilt Sie mächtig, ich weiß, aber Teddy ist ein Körperteil des Kindes und kommt also zwangsläufig vor im Leben und also auch auf dieser Seite. Und, ganz unter uns, manches im Leben von Kindern ist tatsächlich langweilig, und nicht alles, was Kinder so den lieben langen Tag tun und machen, ist spannend. Die Kastrationsangst von Teddy aber ist es dann doch.

Es ist schon Jahre her, dass Teddy ab und an in die Waschmaschine gesteckt wurde, um sich von allerlei mehr oder weniger undefinierbaren Gerüchen befreien zu lassen. Doch eines an sich schönen Abends streikte die Spieluhr im Inneren des freundlichen Wesens. War Seife eingedrungen? War der Schleudergang schuld? Das Kind zog und zerrte an der Schnur, die Teddy zwischen den Beinen hing, doch die Schnur schnurrte nicht wieder in den Teddy hinein, Wohlklang verbreitend. Wie sollte das Kind jetzt schlafen? Und, nun ja, ein wenig befremdlich sah es auch aus, Teddy mit so einem langen dünnen Ding zwischen den Beinen... Beherzt griff die Mutter des Kindes zur Schere, um abzutrennen, was nutzlos störte. Oha, da besann sich Teddy zügig eines Besseren, die Spieluhr spielte, das Kind lächelte.

Sicherheitshalber kam Teddy danach nicht mehr in die Waschmaschine. Etwaige Gerüche wurden nur noch mit einem feuchten Tuch vorsichtig abgetupft, und was nicht abging, blieb dran. Manches aber blieb auch nicht dran: Teddys Fell wurde dünn und dünner, an einigen Stellen des Leibes und des Gesichtes zeigten sich offene Wunden. Teddy zerfaserte und drohte als Nichts im Nichts zu verschwinden. Zu Tode geliebt.

Vor Jahr und Tag wurde Teddy deshalb ein erstes Mal operiert, wir berichteten. In diesem Frühling musste Teddy nun schon den dritten schönheitsoperativen Eingriff über sich ergehen lassen. Und überrascht erkannten wir dabei: Kein einziges Teil an Teddy ist mehr original!

Nur die Spieluhr in seinem Innersten ist ganz die alte und lässt noch immer ihren Wohlklang ertönen. Alle anderen Teile – die dünn gewordenen Beine, die licht gewordenen Ohren, die löchrige Bauchdecke – wurden in den rund sieben Jahren seines Lebens ersetzt: Löchrige Stoffe durch neue Stoffe und dünne Fellteile durch Ersatzfellteile, gespendet von irgendwelchen namenlosen, zerteilten, ausgeweideten Hilfsteddys.

Sieben Jahre? Nicht nur Teddy wurde erneuert und relauncht und geupdatet. Auch das Kind und Sie und ich erneuern uns fortwährend. Der Mensch hat ungefähr 220 verschiedene Zelltypen, die unterschiedlich lang leben. Ständig sterben Zellen und ständig bilden sich neue. Manche Zellen leben nur zwei Tagen, andere viele Monate. Die Schnelligkeit der Erneuerung nimmt im Laufe des Lebens ab – und irgendwann ist sie so langsam, dass wir sterben.

Sieben Jahre? Im Schnitt, so ist zu lesen, ist der Mensch alle sieben Jahre ein neuer, weil in diesem Zeitraum alle Zellen mindestens einmal erneuert wurden. Wie bei Teddy.

Das Kind ist übrigens auch sieben Jahre alt. Teddy ist nicht mehr derjenige, der er vor sieben Jahren war, und das Kind liebt ihn trotzdem wie eh und je. Und auch das Kind hat sich komplett erneuert, und ich liebe es trotzdem wie eh und je. Auch ich bin runderneuert und nicht mehr der, der ich mal war.

Im Grunde genommen hat das Kind im Laufe der Zeit einen neue Papa bekommen. Und ich ein neues Kind. Aber sind Kinder nicht sowieso jeden Tag und immer wieder neu?

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