Rainer Kolbe - Das Kind

 

189 Öffentliche Wäschespinne

Zu den Sommerferien, von deren Beginn wir in der letzten Woche lasen, gehören allerdings nicht nur die Sommerferien der Kinder, sondern auch die anderer, zum Teil gänzlich fremder Leute, die im normalen Leben in Darmstadt wohnen oder in Oberhausen und die hier an der Westküste ihren Urlaub verbringen.

Manche von ihnen liegen dann tatsächlich von morgens bis abends am Strand, andere erkunden auch die nähere Umgebung. Zur näheren Umgebung gehört dann allerdings auch das Pastorat. Diese Erkunder stehen dann in unserem Vorgarten und fotografieren das Haus mit dem große Reetdach und dem kleinen Fahrrad vor der Tür. Wenn sie Pech haben, steht unser knallrotes Auto gerade vor dem Haus, dann sieht das Foto natürlich nicht so schön aus wie das im Reiseführer.

Und dann gibt es diejenigen, die das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden suchen, also die Urlaubstage mit dem Besuch der verstorbenen Großeltern auf dem dörflichen Friedhof.

Nun, es ist unvermeidlich, dass Kinder ab und an auch mit Geschrei und Gezänk zu tun haben, mit Menschen, die schlechte Laune haben und schimpfen. Sogar bei Eltern soll das fallweise vorkommen. Und auch fremde Menschen schimpfen mal mit einem Kind, wofür es gute Gründe geben kann, im Straßenverkehr zum Beispiel. Dass aber fremde Menschen in die eigene Wohnung kommen und dort schimpfen, das ist eher selten. Oder?

Die Tür zu meinem Arbeitszimmer platzt auf: „Papa, da stehen drei Frauen in unserer Diele und schimpfen.“ Interessant. Muss ich wohl mal nach dem Rechten sehen. Und tatsächlich, da stehen drei Damen und schimpfen. Über den Zustand der Verwandtschaft auf dem Friedhof. Also des Grabes. Das sei in Pflege, sie hätten, beschweren, kann ja nicht sein, die Pastorin, schon damals, am Telefon, der Küster...

Ich versuche, einen Fuß in die Tür zu bekommen, also ein Wort in den Schimpf: Ich bin Journalist und Vater und Hausmann und für die Pflege von Gräbern nicht zuständig. Das Kind wird fallweise für das morgendliche Aufschließen der Kirche zuständig gemacht, mitnichten für Gräber. Ja, noch nicht mal die Pastorin ist zuständig, Friedhofsangelegenheiten obliegen dem Friedhofsverband. Was, natürlich, am Friedhof dransteht. Was ich zu erläutern versuche. Was mir, nach einiger Zeit, gelingt: Irgendwann treten die Damen treten den Rückzug an, leise grummelnd.

Nicht immer treten alle freiwillig den Rückzug an. Wieder stehen Auswärtige in der Diele, „Ach, das ist ja schön hier!“ Mmmh. „Schöne Deckenbalken!“ Finde ich auch. „Wunderbares Treppengeländer!“ Stimmt. „Und oben?“ Ich reagiere zögerlich, was geht den Menschen unser Schlafzimmer an? Doch allmählich dämmert es dem Menschen. „Ach, äh, das kann man hier nicht besichtigen?“ „Nö. Wir wohnen hier.“ „Ach, wie schade.“ Finde ich nicht.

Ein guter Moment, den Rückzug zumindest in Erwägung zu ziehen. „Wenn Sie dann jetzt vielleicht...“, versuche ich vorsichtig auf die Tür hinzuweisen. „Ja, wirklich schön haben Sie es hier, wirklich schön!“ Nun ja, mit all den Leuten in der Diele.

Ab und gucken auch mal welche zum Fenster rein und begucken uns. Die sind dann links herum ums Pastorat gegangen, müssen allerdings, um rechts wieder rauszukommen, hinten über den kleinen Zaun steigen, der Gemeindegarten und Familiengarten zumindest optisch trennt. Die wollen das Haus offenbar von allen Seiten sehen. Also auch von der Seite mit den Meerschweinchen, der Sandkiste, der Wäschespinne, dem Erdbeerbeet. Die Brombeeren werden sowieso regelmäßig von Fremden geerntet, „Ach, ich dachte, das sei hier öffentlich.“

Öffentliche Brombeeren, öffentliche Sandkiste, öffentliche Meerschweinchen, öffentliche Wäschespinne.

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