Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

Folge achtzehn
Göttin in weiß

In der letzten Woche war hier die Rede von einem kleinen Dialog, der sich beim abendlichen Zähneputzen entspann. Das war schon im Ansatz gelogen, denn Dialoge beim Zähneputzen gibt es eigentlich gar nicht, nur Monologe. Der väterlichen Monolog besteht aus fortwährenden Hinweisen und Ermahnungen und hat das Ziel, dem Kind zu sauberen Zähnen zu verhelfen und das Badezimmer vor einer neuerlichen Renovierung zu bewahren. Der Monolog des Kindes besteht darin, genau diese Hinweise zu ignorieren und durch Worte, aber auch durch Gesten und mimische Verrenkungen (während des Zähneputzens!) alles zu versuchen, den väterlichen Monolog am Laufen zu halten. Das macht dem Kind irgendwie Spaß, ich habe noch nicht herausgefunden, warum. Vielleicht sieht es uns gerne beim Renovieren zu.

Nebenbei: Das Kind hat aus dem Kindergarten eine sehr spezielle Technik mitgebracht, mit der es einerseits die Rückseite der Schneidezähne reinigen kann und gleichzeitig den Badezimmerspiegel erfolgreich von oben bis unten mit Zahnpastaschaum bekleckern kann. Probieren Sie es mal aus, das klappt großartig: Zahnbürste rechtwinklig in den Rachen schieben und dann an der Rückseite der oberen Schneidezähne mit Schwung nach vorne wieder herausziehen. Kombiniert mit der richtigen Kopfhaltung ist es möglich, sogar den Bereich oberhalb des Spiegels zu bespeicheln.

Zu den weiteren Abendritualen gehörte bis vor einem halben Jahr auch die Suche nach einem Schnuller („den blauen!! den blauen!!“). Unser Kind hatte lange Zeit noch des Nachts einen Schnuller zwischen den Lippen, der wurde abends reingesteckt und ging bis zum Frühstück auch nicht wieder raus. Also, er ging raus, aber dann kam auch mächtig Geschrei raus, und fort waren Ruhe und Schlaf. Und also tat man den Stöpsel lieber wieder rein und dachte sich, na ja, sie ist ja auch noch so klein. Und kein Argument konnte die Kleine überzeugen, den Schnuller abzulegen.

Vor einem halben Jahr allerdings war das Kind zum ersten Mal beim Zahnarzt, denn auch Milchzähne müssen gepflegt werdem. Als vertrauensbildende Maßnahme wurden erst Papas Zähne untersucht. Die waren tadellos an diesem Tag, zum Bohren und Schleifen und Hobeln und Fräsen hatte ich mich eine Woche vorher schon einmal auf diesem Stuhl festgekrallt und wohlweislich das Kind zuhause gelassen. Dann durfte das Kind mit dem kleinen runden Spiegel seinen Teddy untersuchen, und dann guckte die Ärztin dem Kind ins Gebiss und fand nichts, was des Findens wert gewesen wäre. 

Dann aber stellte die Göttin in weiß die Frage aller Fragen: Ob es noch einen Schnuller habe? Ja, aber nur nachts. Nun, wenn du dann vier Jahre alt wirst, dann brauchst du den nicht mehr, der ist dann auch nicht mehr so gesund für deine schönen Zähne.

Abends nahm das Kind den Schnuller vom Kissen, warf ihn in die Ecke und sagte „Den brauche ich nicht mehr!!“ Die Welt kann so einfach sein, rund und schön. Und den Appendix – „Ich wünsche mir von der Schnullerfee ein Stoffnilpferd!!“ – haben wir dann ganz locker gemeistert.

Nun ist ein halbes Jahr vergangen, und in der nächsten Woche haben wir wieder einen Termin bei unserer Göttin. Ich werde vorher noch einmal mit ihr telefonieren. Vielleicht lässt sich ein Zusammenhang herstellen zwischen Zahngesundheit und aufgeräumten Kinderzimmern.

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