Rainer Kolbe - Das Kind

 

199 Im Elektromarkt

Es geschah, dass der Computer der Lieblingspastorin sich innert weniger Minuten und ohne jede Fremdeinwirkung in Schrott verwandelte. Zwar wohnen wir in einem Ort mit Bäcker und Höker und Sparkasse, doch für einen neuen Computer müssen wir uns alle ins Auto verladen und in die nächste, nun ja, Stadt fahren. Dort gibt es Elektromärkte.

Was das Problem nicht so recht löst, denn die Lieblingspastorin hat konkrete Vorstellungen, denen leider keiner der im Laufe des Nachmittags besuchten Märkte entsprechen kann. Sie schaut sich um, sie schaut sich alles an, sie lässt sich beraten. Der Ganzlütte schaut sich um, fasst alles an, lässt sich jagen. Ich beneide Eltern, deren Kinder einfach so in der Karre sitzen und friedlich sind und meinetwegen in der Nase bohren. Das sind natürlich kreuzlangweilige Kinder, die man gar nicht haben will. Außer beim Besuch eines Elektromarktes.

Schon hat der Ganzlütte die Körbe mit den Steckern, Steckdosen und Zeitschaltuhren entdeckt. Solche spannenden Dinge sind dankenswerterweise unverpackt und in Kniehöhe eines Zweijährigen angeordnet, damit dieser daraus eine lustige Kette basteln kann, in dem er den Stecker des einen in die Dose des nächsten steckt.

Vorsichtig blicke ich mich um. Wie reagieren die anderen Kunden, wie das Personal? Guckt man grimmig herüber? Nein, man schmunzelt! Natürlich nicht über das kleine Kind, sondern über mich, weil man weiß, dass ich hernach all die Stecker ziehen, all die Dosen sortieren werde.

Während ich mit dem Sortieren von Steckern und Dosen beschäftigt bin, komme ich ins Grübeln: Wenn man ein schon etwas größeres, selbstständiges Kind hat und ein kleines, ganz besonders selbstständiges Kind, dann ist man mitunter gezwungen, dem kleinen mehr Aufmerksamkeit zu widmen, schon um die Folgekosten in Grenzen zu halten. Einer Siebenjährigen traut man eher zu, auf sich selbst aufzupassen, auch wenn sie sich dabei grenzenlos langweilt, weil sie sich für technische Dinge nicht so sehr interessiert. Irgendwie ist das unfair, und da tut sie mir leid.

Wo also ist meine Große? Die lehnt an einer Säule und betrachtete gelangweilt das auf zwanzig Monitoren flimmernde Zweitligaspiel Karlsruher SC gegen den SC Paderborn. Ich gucke ein wenig mit, behalte den Ganzlütten im Augenwinkel und würde die Abseitsfalle erläutern, wann der Karlsruher SC sie nur beherrschen würde. „Papa, ich hab Kopfschmerzen!!“ Das kann ich verstehen.

Der Ganzlütte hat jetzt allerdings die kleinen bunten Kartons mit den Rund-um-sorglos-mobil-telefonieren-Handys entdeckt, aus denen man herrlich Türme bauen und ebenso herrlich zum Einsturz bringen kann.

Während ich die Kartons behutsam ordne und sortiere, bietet einer der Berater den Kindern Handys an: Ausgediente Demonstrationsmodelle ohne echte Funktion, aber mit fast echtem Aussehen. Meine Große staunt, „Papa, guck mal!!“ Und halblaut hinter der Hand: „Papa?! Meinst du, die dürfen wir mitnehmen?!“ Der Ganzlütte rüttelt an einer Vitrinetür, er möchte das Geschenk tauschen in ein Gerät der Premiumklasse.

Irgendwann neigt sich auch dieser Tag, es ist spät geworden: Da kommt schon die Durchsage, dass die verehrten Kunden nun doch endlich den Laden verlassen mögen. Selbst der Ganzlütte wirkt etwas matt und versucht in einen leeren Drahtkorb zu klettern, als ob dieser ihn an etwas erinnert: „Bett!! Schlafen!!“

Jetzt haben alle eine Belohnung verdient: Der Ganzlütte für seinen Eifer. Die Lieblingspastorin gegen die Enttäuschung, nicht bekommen zu haben, was gebraucht wurde. Ich, weil ich es geschafft habe, sämtliche Stecker und Zeitschaltuhren wieder in die richtigen Körbchen zu sortieren. Und das große Kind für seine große Geduld.

Also gehen wir heute amerikanisch essen.

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