Rainer Kolbe - Das Kind

 

201 Der Kinderherd

Von der Tapferkeit der Kinder war in der letzten Woche die Rede, besonders im Angesicht von auf zweihundertzwanzig Grad vorgeheizten Öfen. Nun möchte man natürlich denken, dass wir das Kind sanft an so hitzige Dinge wie Streichhölzer, Kerzen und auf zweihundertzwanzig Grad vorgeheizte Öfen vorbereitet haben. Haben wir auch, eigentlich.

Es fing eher harmlos an. Das Kind wünschte eine Spielküche. Die kann man im Spielzeugladen kaufen, in zwei Varianten. Zwei Varianten von Spielküchen in zwei Varianten von Spielzeugläden: Die schönen Küchen aus poliertem Holz, annähernd unbezahlbar. Und die, sagen wir, weniger schönen aus buntem unkaputtbarem Plastik. Das eine konnten wir nicht, das andere wollten wir nicht, so griffen wir beherzt zur Stichsäge, zur Bohrmaschine und zu den übrig gebliebenen Teilen eines Systemregals. Nach einiger für uns durchaus unterhaltsamer Mühsal mit Zungen zwischen Zähnen stand eine wunderbare Spielküche vor dem Kind, samt Spülbecken und Wasserhahn. Der Wasserhahn hat allerdings keine Verbindung zum Wasserwerk, und das senkt den Spielwert für das Kind enorm. Inzwischen steht diese Küche beim Ganzlütten im Zimmer, der mir mit altersgerechter Begeisterung einen Kaffee nach dem anderen kocht.

Dann kam irgendwann zu Weihnachten das Puppenhaus hinzu, ein Erbstück sozusagen, denn auch die Lieblingspastorin hatte mit eben diesem Puppenhaus schon gespielt, was den Spielwert für das Kind enorm steigerte. Das Puppenhaus ist ziemlich groß und hat auch eine Puppenhausküche, doch die Möbel in den Zimmern und in der Küche sind dann doch recht klein, und wenn ich mit meiner Erwachsenenhand die Stühle aufstellen möchte, reiße ich gleich das ganze Porzellan vom Esstisch. Immerhin kann ich mich am Puppenherd nicht verbrennen, der ist aus Holz und funktioniert nicht in Wirklichkeit, und das senkt den Spielwert für das Kind enorm. Außerdem bleibt Teddy unversorgt, denn fürs Puppenhaus ist er viel zu groß, und an den Puppenesstisch passt er schon gar nicht.

Ein Kind wächst, die Ansprüche wachsen mit. Und dann ist irgendwann eine Puppenküche keineswegs mehr das Nonplusultra und eine Systemregalküche schlicht langweilig: weil der Herd eben nicht richtig funktioniert und aus dem Wasserhahn eben kein echtes Wasser rinnt.

Und da kam dann der Keller der Großeltern ins Spiel, in dem noch einen Kinderherd stand. Der wurde ein wenig frisch gemacht und steht jetzt bei uns in der Speisekammer. Und wenn das Kind kochen möchte, dann holen wir den Kinderherd aus der Kammer, stellen ihn auf einen stabilen Stuhl und stecken den Stecker in die Steckdose. Denn dieser kleine Herd ist echt! Klein, aber oha!, möchte man sagen, sogar mit Backofen, zweihundertzwanzig Grad inklusive.

Nun steht das Kind beseelt am kleinen Herd, mit einer Schürze bekleidet, und kocht für sich und Teddy, und es gibt Schmetterlingsnudeln mit Tomatenkleinklein. Es rührt in den Nudeln, kratz sich mit der Gabel am Kopf, ist manchmal beinahe unkonzentriert, sieht aber noch rechtzeitig, dass das Nudelwasser überzukochen droht, zersägt mit der Zunge zwischen den Zähnen zwei Tomaten und wirft sie in die kleine Pfanne, dass es nur so zischt. Wenn Teddy dann einen guten Appetit hat und auch das Kind kräftig zulangt, reicht es gerade mal als kleine Vorspeise. Aber das macht nichts, wir Eltern kochen nebenbei ja auch noch.

Denn das ist das Schönste: Das Kind ahmt nicht nach, es tut es selbst. Es „spielt“ nicht kochen, es „kocht“. Wie die Großen. Dass der Herd niedriger ist, ist nur praktisch, und dass die Portionen kleiner sind, das macht nichts. Wichtig ist: Es ist alles echt!

Wie überhaupt das ganze Kinderleben.

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