Rainer Kolbe - Das Kind

 

208 Eine einfache Reise

Neulich ergab es sich, dass wir für ein paar Tage und mit dem Zug in die nächste Großstadt fuhren, ich und die beiden Kinder. Da stehen drei Rucksäcke bereit, daneben ein großer Trolley und ein kleiner Trolley. Kurz überlege ich noch, ob ich die Karre mitnehme für den Ganzlütten und beschließe, es sein zu lassen: Er kommt an die Hand.

Die Lieblingspastorin fährt uns mit dem Auto zum nächsten Provinzbahnhof, küsst uns, da kommt auch schon der Zug! Ich hieve einen großen Trolley, ein großes Kind, einen kleinen Trolley und ein kleines Kind hinein und preise meine Weisheit, mich nicht mit einer Karre behängt zu haben. Im übernächsten Waggon finden wir einen Viererplatz. Ich verstaue das Gepäck im Gepäcknetz und beginne, die Kinder aus den Klamotten zu schälen. Die wollen danach und umgehend vom Reiseproviant, ich zerteile Gebäckstücke mit meinem Taschenmesser ungefähr gerecht, reiche die Wasserflasche herum. Nach dem Mahl und dem fälligen Entkrümeln und notdürftigem Säubern zweier Münder möchte der Ganzlütte jetzt unbedingt auf den Sitz steigen, muss also die Schuhe ausgezogen bekommen. Sind die Schuhe ausgezogen, möchte er aber doch lieber am Fenster stehen. Der Boden ist jahreszeitlich bedingt nicht ganz trocken, also muss er die Schuhe wieder angezogen bekommen, worauf er auf den Sitz klettert. Das große Kind möchte jetzt gerne malen, lässt sich immerhin noch ein wenig ablenken mit der großen Hochbrücke und der Frage, wie es wohl sein kann, dass der Zug einmal um sich selbst fahren kann. Dann aber möchte es wirklich unbedingt sofort malen, ich hebe also einen Rucksack aus dem Gepäcknetz, das Kind sucht und findet seine Malsachen in den Tiefen, und selbstverständlich möchte der Ganzlütte jetzt auch malen.

So geht das hin und her und die anderen Reisenden haben ihre helle Freude, jeder nach seiner Art. Nun aber nähert sich der Zug schon der Kreisstadt, er endet dort und fährt zurück, wir werden umsteigen. Also muss jetzt alles wieder eingepackt und eingehüllt werden, lautstark, weil einer von zweieinhalb Jahren das nicht unbedingt verstehen kann. Ich beschließe, erst alle anderen Reisenden aussteigen zu lassen, um dann in großer Ruhe mit den Kindern und unserem ganzen Gerümpel auszusteigen. Die gefühlt fünfzig Leute, die sich uns entgegenstemmen und einsteigen wollen, stören diese große Ruhe kaum.

Wir gehen in die Bahnhofshalle und kaufe Schokolade, damit die Laune hochwertig bleibt, und eine Flasche gesüßtes, aromatisiertes Blubberwasser, das es bei uns grundsätzlich nur auf Bahnreisen gibt. Zum Ritual einer Bahnreise gehört eigentlich noch der Erwerb einer knallbunten Mädchenzeitschrift, doch mit Hinweis auf den Ganzlütten, der sonst auch etwas zum Zerreißen will, und dem nahenden Intercity, der uns weiter forttragen soll, komme ich drumherum.

Bremsen quietschen leise, ich hieve einen großen Trolley, ein großes Kind, einen kleinen Trolley und ein kleines Kind in den Zug und preise meine Weisheit, mich nicht mit einer Karre behängt zu haben.

Im übernächsten Waggon finden wir ein abgedunkeltes Abteil, in dem eine dicke Frau in ein Buch vertieft ist, und sorgen dafür, dass das Abteil hell erleuchtet wird und die weitere Lektüre unmöglich ist: Die Kinder entdecken begeistert die kleinen Klapptischchen, die man aus den Armlehnen herausdrehen kann und wollen jetzt erstmal Schokolade essen, etwas trinken, malen, mit Autos spielen, Schuhe ausziehen, Schuhe anziehen, kuscheln, vorgelesen bekommen und alles.

Schnell sind wir in der großen Stadt. Ich beschließe, erst die anderen Reisenden aussteigen zu lassen, um dann in großer Ruhe mit den Kindern und unserem ganzen Gerümpel auszusteigen.

Bis hierhin war die Reise einfach.

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