Rainer Kolbe - Das Kind

 

210 Ich bin Papa, und damit gut

„Ach, was muß man oft von bösen / Kindern hören oder lesen!“ Eltern kennen diesen Stoßseufzer und seufzen ihn gelegentlich, wenn der Nachwuchs es mal wieder treibt wie toll, Kakao literweise verschüttet und versucht, den Hund mit der Bastelschere zu kupieren.

Und dann retten die Eltern den Hund, wischen den Kakao auf und streichen ihren Kindern liebevoll, aber irgendwie auch ermattet über das Haar und drücken ihnen einen Kuss auf den Scheitel. Idealerweise. Ich weiß, es gibt wohl auch ganz andere Eltern, manchmal wird von ihnen in der Zeitung berichtet, auf der letzten Seite „aus aller Welt“. Dann lege ich die Zeitung außer Reichweite meines eigenen lesewütigen Kindes, es muss noch nicht alles wissen. Zumindest nicht so detailliert, wie es „aus aller Welt“ berichtet wird.

„Ach, was muß man oft von bösen / Kindern hören oder lesen!“ Man kennt Wilhelm Busch als Verfasser ironischer Bildergeschichten, witziger Gedichte und, natürlich, von „Max und Moritz“. Diese Lausbuben! Lausbuben? Wie brutal Kinder heute sein können: Der Witwe sämtliche Hühner weggefressen, den Schneider in den Bach geschickt, den Lehrer zur Explosion gebracht und dem Onkel allerlei Viecher ins Bett gesteckt.

„Ja, zur Übeltätigkeit, / Ja, dazu ist man bereit! / Menschen necken, Tiere quälen, / Äpfel, Birnen, Zwetschgen stehlen, / Das ist freilich angenehmer / Und dazu auch viel bequemer, / Als in Kirche oder Schule / Festzusitzen auf dem Stuhle.“

Doch guckt man genauer hin, sieht man auch: Die Bilder sind lustig, die Lausbuben sehen aus wie Lausbuben und nicht wie Verbrecher, die Opfer kann keiner ernsthaft ernst nehmen und die Verse treiben diese Ironie kunstvoll auf die Spitze.

Dann denke ich an die Streiche meiner eigenen Kinder: Weder wurde ich bisher in den Bach geschickt noch haben sie mir sämtliche Hühner weggefressen. Allerdings explodiere ich manchmal. Warum eigentlich? Ich komme angesichts der Taten in „Max und Moritz“ ernsthaft ins Grübeln.

Beim Grübeln bin ich aber wieder bei Wilhelm Busch. Neulich bin ich auf ein Gedicht von ihm gestoßen, was an sich ja nicht schwer ist, der Mann hat viel gedichtet, und auch wenn er schon seit über hundert Jahren nicht mehr körperlich anwesend ist, so kommt einem das eine oder andere Gedicht doch noch mal unter. Jedenfalls hatte das Gedicht den schönen Titel „Ich bin Papa“, das sprang mich natürlich an:

„Zum Glück hat meine gute Frau, / Die liebevoll an alles denkt, / Mir einen kleinen Fritz geschenkt, / Denn oft erfreut mich dieser Knabe / Durch seinen kindlichen Radau, / Wenn ich so meine Schrullen habe.“

Sodann beschreibt der Dichter, wie er sich nach opulentem Mittagsmahle mit offener Weste in seinem Sessel niederlässt, um zu entspannen und zu verdauen, und wie ihn sogleich ein Schwarm dummer Fragen in Grübeleien versinken lässt, anstatt ihn in seiner Ruhe zu lassen: Woher komme ich, wohin gehe ich, was soll das eigentlich alles?

Doch Abhilfe naht: „Ei sieh, wer kommt denn da? / Hallo, der Fritz! Nun wird es heiter, / Nun machen wir den Eselreiter. / Flugs stell ich mich auf alle viere, / Indem ich auf und ab marschiere, / Und rufe kräftig mein I - ah! / Vor Wähligkeit und Übermut.“

Auch eine Art, die Mittagspause zu verbringen. Immerhin hilft es: „I - ah! Die Welt ist nicht so übel. / Wozu das närrische Gegrübel? / Ich bin Papa, und damit gut.“

Ich bin Papa, und damit gut. Das gefällt mir natürlich: Der kleine Fritz, die frechen Lausbuben Max und Moritz, mittendrin Wilhelm Busch als liebevolle Eselreiter – mit Zigarre und Rauschebart, wie man ihn von einigen Fotos kennt. „Ich bin Papa, und damit gut.“

Übrigens: Wilhelm Busch war nie verheiratet und hatte keine Kinder.

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