Rainer Kolbe - Das Kind

 

211 Weiße Weihnacht’? Bitte nicht!

In früheren Zeiten waren die Winter noch richtige Winter! Und alles war aus Holz, Züge waren pünktlich und wer log, wurde bestraft! In diesen früheren Zeiten hat auch jemand die Schulen und die Kindergärten erfunden. Natürlich nur, damit die Eltern Ruhe haben. Sei es, um einer Art Berufstätigkeit nachzugehen, sei es, um sich in aller Ruhe noch ein zweites Frühstück zu gönnen: Kinder weg, Ruhe daheim – so soll es sein!

Die Ruhe daheim findet heutzutage ein Ende, wenn der Winter beschließt, tatsächlich einmal Winter zu sein. Das Telefon klingelt schon am Vorabend, ein Rundruf: Morgen ist schulfrei, bundeslandweit! Es könnte schneien! Das lokale Blättchen faselt was von „Schneewalze“ und „Eislähmung“. Das Fernsehen erklärt: „Bei einer Vorankündigung von mehr als fünfzehn Zentimetern innerhalb von zwölf Stunden wird Unwetterwarnung ausgesprochen.“ Unwetterwarnung? Fünfzehn Zentimeter – messen Sie spaßeshalber mal nach.

Nein, ich spotte nicht über Menschen, die stundenlang mit ihrem Auto festsitzen oder Nächte auf Flughäfen zubringen. Und wenn tonnenweise Schnee alle Straße blockiert, soll man Kinder daheim behalten. Aber das ist den Eltern sowieso freigestellt! Wieso dann so ein vorauseilenden Gehorsam gegenüber dem Wetter, und das gleich bundeslandweit?! Nur weil es in der Gegend von Plön kräftig schneit, muss doch nicht rund um Husum die Schule ausfallen!?

Nun gut: Morgen ist schulfrei, es könnte schneien. Ob das Kind in seinem Zimmer bastelt oder nicht, stört mich wenig, Hauptsache, ich komme endlich mal dazu, den vorweihnachtlichen Berg mit der Bügelwäsche in Angriff zu nehmen. Zehn Minuten später klingelt erneut das Telefon, ich habe es befürchtet: Kindergarten ist abgesagt. Es könnte schneien. Nun ja. Bügeln mit einem Zweieinhalbjährigen im Schlepptau ist, sagen wir so: nicht so sehr ergebnisorientiert. Eher aktionsorientiert.

Am nächsten Vormittag sind also alle daheim: Das Kind bastelt oder nicht, der Ganzlütte „hilft“ mir beim Bügeln. Es schneit überhaupt gar nicht. Erst am Mittag beginnt es, ungefähr zu der Zeit, zu der die Kinder sonst aus der Schule heim kommen und aus dem Kindergarten abgeholt werden. Warum die beiden mir jetzt beim Bügeln haben helfen müssen, erschließt sich mir nicht...

Draußen ist Winter, wie er sein soll, drinnen sitzen wir beim Mittagessen, da klingelt das Telefon: Die nachmittägliche Weihnachtsfeier der Kindergartenkinder ist abgesagt, einige Eltern hätten schon angerufen, sie bekämen das Auto vielleicht nicht aus der Garage. Kurze Zeit später, ich bin gerade beim Abwasch, klingelt das Telefon: Das für den Abend angesetzte Theaterstück im Dorfkrug wird abgesagt. Kann ja sein, dass keiner kommt. Weiß man ja nicht.

Immerhin: Das Konzert in unserer Kirche wird nicht abgesagt! Der Chor kommt aus dem nördlichen Russland und hat sich „durchgekämpft“. Russen eben, die sind schneemäßig natürlich einiges gewohnt. Und es sind dann sogar gut fünfundzwanzig Leute zur Kirche gestapft, um dem Konzert zu lauschen. Was Russen wohl von uns denken?

Beim Zubettbringen fragt das Kind, ob morgen die Schule wieder ausfällt. Ich: „Nö. Wieso?“ Kind: „Aber es liegt Schnee!!“ So weit sind wir jetzt: Liegt Schnee, fällt die Schule aus. Doch am nächsten Morgen ist’s tatsächlich so: Die Schule fällt aus... nein, kein Neuschnee über Nacht, angesagt sind „lokale Schneeschauer“. Mit der Logik müsste bis Mitte März schulfrei sein!

Früher hat man gehofft, dass es zu Weihnachten Schnee gibt: Weiße Weihnacht’, ein norddeutscher Traum. Ein Traum, der nur alle vier oder fünf Jahre in Erfüllung ging mit einigen Millimetern verstärkten Raureifs.

Heute fürchte ich mich vor Weihnachten. Es soll schneien? Schule, Kindergarten, Weihnachtsfeier, Theater. Wenn es schneit, wird womöglich noch Weihnachten abgesagt! Könnte ja sein, dass keiner kommt!

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