Rainer Kolbe - Das Kind

 

219 Vorhersehung, hoch zu Ross

Vergangene Woche war hier von einem Blick in die Zukunft die Rede, von unseren Urlaubsplänen. Aber mit Plänen ist das ja immer so eine Sache. Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt, sagt meine Mutter. Und Bertolt ergänzt „Sei nur ein schlaues Licht, und mache einen Plan, und mach’ auch einen zweiten Plan: Gehen tun sie beide nicht!“

Das Kind macht gerne große Pläne und hat sogar seherische Fähigkeiten: Es sieht Dinge, die nicht sind, aber sein werden. So sieht es zum Beispiel seit Wochen im Garten ein Pferd stehen. Es ist da noch nicht, wird da aber sein. Denkt das Kind. Sieht das Kind!

Wir denken das anders und sehen da gar nichts. Das Kind soll erstmal die Meerschweinchen in Griff kriegen, bevor es von Huftieren träumt. Das sagen wir dem Kinde auch so, aber je mehr wir abwiegeln, um so stärker ist das Kind davon überzeugt, dass wir nur abwiegeln, um die Spannung zu steigern. Und dass in wenigen Tagen schon, längstens nächste Woche im Garten ein echtes Pferd stehen wird.

An sich weiß das Kind Modulationen und Nuancen in der der familiären Kommunikation zu erkennen und zu deuten. Es kann ohne Probleme den Unterschied zwischen „Vielen Dank, dass du den Müll mit raus genommen hast und dich in letzter Zeit auch sonst so prima am Haushalt beteiligst!“ und „Vielen Dank, dass du den Müll mit raus genommen hast und dich in letzter Zeit auch sonst so prima am Haushalt beteiligst!“ hören und verstehen.

Nur den Satz „Nein, da steht morgen oder nächste Woche oder in diesem Jahr KEIN Pferd im Garten“ versteht es grundsätzlich und immer als liebevoll-spannungssteigerndes Hinhalten.

Ja, das Kind interessiert sich für Pferde. Zugegeben, nicht sehr originell; im Umkreis von einigen Hundert oder auch Tausend Kilometern gibt wahrscheinlich kein achtjähriges Mädchen, dass sich NICHT für Pferde interessiert.

Playmobilpferde, Schleichpferde, diese unerträglichen lilarosafarbenen Filly-Pferde (oder Silly, wie wir Eltern sagen). Freitags ist der Kinder-Voltigier-Kurs im Nachbarort, inklusive Abäppeln der Stallgasse. Das Kind besitzt ein von der Mutter liebevoll gebasteltes und genähtes Steckenpferd, das sogar authentisch streng riecht, seit es im letzten Sommer einmal draußen übernachtet hat, im ergiebigen Landregen.

Dann kam Birgit und schenkte dem Kind ein Umhängepferd. Das aber ist nun wirklich großartig: Ein Schaumstoffring, mit braunem Stofffell bezogen, daran baumeln vier Beine. Vorne am Ring ist ein Hals dran und ein Pferdekopf. Das Kind steigt in den Ring, hängt sich zwei Riemen über die Schulter, ergreift die Zügel. Und dann galoppieren sie los, das Kind mit dem Pferd oder das Pferd mit dem Kind, das ist schon gar nicht mehr genau zu erkennen, als sie in einer Staubwolke am Horizont verschwinden.

Wir Eltern dachten nun natürlich, dass der Pferde genug ist. Pferde in allen Größen, aus Stoff, aus Plastik, aus Holz und sogar aus Fleisch und Blut. Falsch gedacht, natürlich. „Papa, baust du mir ein Pferd??“ „Ja, mein Kind, und nun mach’ deine Hausaufgaben.“ „Wann denn??“ „Die Hausaufgaben? Jetzt natürlich!“ „Nein!! Das Pferd!!“

Die Lieblingspastorin telefonierte ein bisschen, und zwei Tage später wurde ein ordentliches Stück Baumstamm mit einem schweren Trecker herangekarrt und im Vorgarten abgeworfen. „Papa!! Wann??“ „Ach, irgendwann im Februar oder so.“

Dann aber fiel erstmal richtig viel Schnee, und der Stamm war weg. Es kam die Advents- und Weihnachtszeit, hui, vielleicht vergisst das Kind den Stamm, den Wunsch, das Pferd?!

Es taute. Ein Kind kann fast alles vergessen, was man ihm sagt. Fast. „Papa, du hast gesagt im Februar!!“

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