Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

 

Folge einundzwanzig
Da ist Gott zu mir gekommen

Muss eigentlich der Gatte einer Pastorin gläubig sein?, werde ich immer wieder mal gefragt. Nun, das kommt auf die Pastorin an... Sofern es nicht ohnehin selbstverständlich ist gläubig zu sein, als Lebensbedürfnis, als Mittelpunkt, als Sein, so ist es doch auf jeden Fall eher hilfreich. Auch Kirchenmitglied sollte man sein, das macht sonst keinen sooo guten Eindruck. Es ist schließlich das Geld der Kirchensteuerzahler aus der Nachbarschaft, das wir so zum Aldi tragen.

Und was ist mit dem Kind? Muss das Kind einer Pastorin...? Nein, das kann ja noch gar nicht glauben. Ja, das denken Sie aber auch nur! Die Selbstverständlichkeit, mit der der Herr in den kindlichen Alltag eingebunden wird, hat etwas unbedingt Beneidenswertes.

„Papa, ich hab’ eine Idee. Da ist Gott zu mir gekommen. Und da hab’ ich mich erschrocken!!“ Ich frage interessiert nach, vielleicht bietet sich hier die Gelegenheit, dem Herrn leibhaftig und vor allem vor dem Ableben vors Angesicht zu treten, also vor meinem Ableben, nicht vor seinem: „Wann ist Gott zu dir gekommen?“ Das Kind: „Um fünf vor sieben ist Gott zu mir gekommen. Und ich hab’ mich erschrocken.“ Das ist verständlich, ich erschrecke auch immer, wenn jemand um fünf vor sieben zu mir kommt. Selbst wenn es die eigene Frau ist. Vielleicht war es tatsächlich der Herr, aber vor dem ersten Kaffee kann ich noch nicht richtig gucken.

Vor anderthalb Jahren schon reichte mir das Kind sein Becherchen mit der Apfelsaft darin und mit den Worten „Christi Blut, für dich gegossen!!“. Ich nahm es und trank; und siehe: es schmeckte tatsächlich etwas anders als der Apfelsaft aus meinen eigenen Glas... Danach erst entdeckte ich, was noch alles in diesem Becherchen schwamm; das erklärte einiges.

Auch im Kindergarten hat das Sakrale jetzt Einzug gehalten. Kommt das Kind nach Hause und will etwas erzählen (was ja an sich schon schön ist, denn das ist nicht immer der Fall): „Jonas und Arche haben heute...“ Ich unterbreche mein Kind: „Wer??“ Kind: „Red’ ich bubedisch??“ Vater: „Erzähl’ einfach noch mal.“ Kind: „Jonas und Arche haben ...“ Das Kind stockt, hört die eigenen Worte im Raum verklingen und lacht. „Jonas und Noah meine ich!!“

Und dann ist da wieder und wieder die Sangeslust. Sie bricht ganz unvermittelt am Esstisch über uns Eltern herein. Ich schicke mich an, meinem Gericht Preiselbeeren hinzuzufügen. Kind, fragend: „Papa, was hast du da?“ Vater, antwortend: „Das sind Preiselbeeren.“ Kind, laut singend: „Lasst uns miteinander, lasst uns miteinander, singen, loben, preiseln den Herrn!“

All das sind natürliche Begleiterscheinungen unseres speziellen Pastoratsalltags. Ein Nachbar ist alltags damit beschäftigt, seine Kühe zu melken und den Trecker hin- und herzufahren. Und, ganz klar, seine Kinder finden Kühe klasse und Trecker sowieso. Ein anderer Nachbar ist bei der Freiwilligen Feuerwehr sehr engagiert. Und im Zimmer seiner Jungs ist der Teppich von Spielzeugfeuerwehrautos komplett zugeparkt.

Wenn ich jetzt aber so darüber nachdenke, dann stelle ich zwar fest, dass unser Kind auch Kühe und Trecker und Spielzeugfeuerwehrautos klasse findet. Aber ob die anderen Kinder auch Friedhöfe, Abendmahle und Konfirmandenfreizeiten klasse finden? Da stimmt doch irgendwas nicht...

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