Rainer Kolbe - Das Kind

 

220 Mit Kaubeuhut

Das Zimmer des Kindes sieht ungefähr so aus, wie man sich das Zimmer einer Achtjährigen vorstellt, die sich für Pferde interessiert. An den Wänden Pferdeposter, auf dem kleinen Sofa zwei Pferdebücher, im Regal weitere. In einer Ecke der Beutel mit den Stallklamotten, daneben das Umhängepferd samt Zaumzeug. Und natürlich Pferdebilder in allen Größen, selbst fabriziert mit allen möglichen und auch einigen unmöglichen Materialien.

Letzte Woche hat das Kind einen neuen Tuschkasten bekommen, weil der alte in der Schule verblieben ist, muss er an den Tagen mit Kunstunterricht nicht immer hin- und hergeschleppt werden. Und nun malt das Kind mit noch größerer Leidenschaft Pferde, was es natürlich vor allem deshalb tut, weil ihm dämmert, dass das mit dem echten Pferd im Garten in dieser Woche vielleicht doch nichts mehr wird.

Das Thema wird auch nicht mehr direkt vorgebracht, sondern zunehmend subtiler. „Papa?? Weißt du, was ich geträumt hab??“ „Nun, mein Schatz, was hast du denn geträumt?“ „Papa, ich hab geträumt, dass eine gute Fee zu mir gekommen ist und ich einen Wunsch frei habe und dann habe ich mir gewünscht, dass ein Pferd bei uns im Garten steht. Und einen Stall haben wir auch, so an der Seite, neben der Garage. Und alle Kinder kommen zu mir und stellen sich in einer Reihe auf und wollen bei uns im Garten auf meinem Pferd reiten!!“ Seufz. Ich fürchte, dass das keineswegs subtil war. Ich fürchte, das mein Kind das wirklich genau so geträumt hat!

Als der Holzstamm, aus dem ein Pferd werden soll und der im Garten unter Schnee begraben lag, bei steigenden Temperaturen aus der weißen Pracht langsam wieder auftauchte, begrub ich meine Hoffnung, das Kind könne Wunsch und Plan und Pferd vielleicht vergessen haben. „Papa, du hast gesagt im Februar!!“

Nun gut, das Kind hat recht. Aaaber – eine solide handwerkliche Arbeit will sorgfältig geplant sein, und ein großes Projekt braucht einen guten Plan. Das weiß jedes Kind, denn so steht es auch in den besseren Baustellen-Kinderbüchern.

Ich erläutere also – einmal mehr dümmlich-vorschnell – dass wir selbstverständlich ein großes Holzpferd bauen, dafür aber einen guten Plan brauchen für die solide handwerkliche Arbeit. Das Kind hört den Vorschlag kaum zu Ende an, da springt es schon in seinem Zimmer hinauf und an seinem Tisch, schiebt Hausaufgaben und ähnlich unwichtige Dinge an den Rand und darüber hinaus, nimmt ein frisches weißes Blatt und zeichnet: Den Plan vom „Holz Pferd“.

Es ist ein ziemlich detaillierter Plan und zeigt, wie das Pferd aussehen soll und was alles dazu gehört: „Selpstgemacher Sattel, trense, Kaubeuhut, Schdof weiß, fileich die Ohren, das mauel zum fütern, Hare an den Beinen.“ Wobei der „Kaubeuhut“ natürlich nicht fürs Pferd ist, sondern für die zukünftige stolze Reiterin.

Sodann erläutert der Plan aber auch präzise, welches Werkzeug an welchen Stellen verwendet werden muss: „Taschenmeser (damit sollen Augenhöhlen gehöhlt werden), schleifmaschine (damit die Schnauze samtigweich wird, wie bei einem echten Pferd (wenn es nicht zuschnappt...)), Pinsel und fabe schwarz.“ Vom Huf gibt es sogar noch ein separates Detailbild, damit wirklich klar ist, wie alles gemeint ist.

Ich kann nicht umhin, allmählich anzufangen, den Wunsch meines Kindes ernst zu nehmen. Nun gut. Ich betrete die Kammer und betrachte meine Werkzeugkiste. Die ist hervorragend ausgestattet hinsichtlich kleinster Schraubenzieher, feinster Pinzetten und dünnster Bohrer. Aber ziemlich albern, was schweres Gerät betrifft.

Ich glaube, ich muss mal ein paar alte Freunde aktivieren. Und das ist ja nicht der schlechteste Nebeneffekt.

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