Rainer Kolbe - Das Kind

 

222 Kickboxen

Die Maus ist 40 Jahre alt geworden. Glückwunsch. Das Kind hat für die Anrichte Aufsteller gebastelt, als Geburtstagsgruß. Die „Sendung mit der Maus“ hat einen gewissen Status in unserer Familie: Sie ist für Erwachsene sehr geeignet, weil die schlauer dabei werden können. Sie ist für Achtjährige durchaus noch geeignet, weil die sich nur ein wenig langweilen. Und sie ist für Zweidreivierteljährige durchaus schon geeignet, jedenfalls einiges davon. Und wenn die Lieblingspastorin den sonntäglichen Gottesdienst gefeiert hat, versammeln wir uns in familiärer Eintracht vor der kleinen Glotze und gucken „die Sendung mit der Maus“.

So weit, so gedeihlich. Wenn im Abspann dann allerdings eine Reportage über Kickboxen angekündigt wird – ja, wir reden hier vom KiKa, vom Kinderkanal – und mein großes Kind dabei glänzende Augen bekommt, dann kommen mir doch erhebliche Zweifel an meinen, an unseren erzieherischen Fähigkeiten.

Denn ich bin für Haue gar nicht zu haben. Zwar bin ich kein Heiliger, der es schafft, auch die andere Wange hinzuhalten, wahrscheinlich würde ich eher zurückhauen, wenn ich gehauen werde. Falls ich das dann noch kann.

Auch versuche ich meine Kinder zu möglichst sanftem Umgang miteinander und auch mit uns Eltern zu erziehen. Und so fiel es mir durchaus auf, dass mein großes Kind in letzter Zeit gerne die kleinen Fäuste in der Luft kreisen lässt, wenn es anderer Meinung ist als ich und fallweise wenig damenhafte Formulierungen dem kleinen Mund entfleuchen. Liebevoll weise ich darauf hin, dass man schlauerweise Wünsche nach mehr Fernsehen, mehr Keksen, mehr Taschengeld und einer Verlängerung des abendlichen Wachbleibendürfens nicht vermittels Gewaltandrohung durchzusetzen versucht.

Nun aber stopft das Kind zügig das mittägliche Käsebrot in sich hinein, um ja den Anfang der Sendung über Kickboxen nicht zu versäumen. Leider kann ich den Film nicht mit ansehen. Nicht, dass ich mich für Kickboxen interessierte, aber man soll ja den Fernsehkonsum von Kindern beobachten, zügeln, kontrollieren. Sowohl quantitativ als auch qualitativ. Und wenn beides nicht klappt, so kann man bei der Kontrolle zumindest Glotze gucken... Doch ich muss den Ganzlütten wickeln und in den, sagen wir mal, erweiterten Mittagsschlafversuch diskutieren.

Was die Quantität angeht, so befinden wir uns wohl eher am unteren Ende der nach oben offenen Kinder-sehen-zu-viel-Fernsehen-Skala. Ausnahmen gibt es im Krankheitsfall, und dann sind’s meist Konserven. Dass im Fernsehen rund um die Uhr die spannendsten Geschichten zu sehen sind, ahnt das Kind zwar, aber wir belassen es vorerst bei der Ahnung. Und was die Qualität unseres achtjährigen Fernsehkonsum betrifft, nun ja, hier flimmern die Sendung mit der Maus und Shaun das Schaf und solche Dinge. Ja, wenn wir ganz ehrlich sind, lebt das Kind noch in einer sehr heilen und behüteten Welt, und die Tageszeitungen der letzten Tage haben wir meist anders herum gelegt. Die große Angst kommt früh genug.

Nun aber interessiert sich das Kind für Kickboxen! Haben wir etwas falsch gemacht?

Der Ganzlütte ist im Bett, wo er natürlich nicht schläft, und das Kind berichtet mir ausführlich, wie die drei neunjährigen Mädchen sich sogar für die Teilnahme an der Kickbox-Weltmeisterschaft in Spanien qualifiziert haben und wie Lilli einen schmerzhaften Kick in die Bauchfalte bekommen hat. Und massiert werden musste und dann doch weiterprügeln konnte und am Ende sogar gewonnen hat.

Ich sehe die glänzenden Augen meines Kindes und frage betont beiläufig, ob es denn jetzt auch einem Kickboxverein beitreten wolle. „NEIN!!“, ruft da mein Kind entsetzt. „Spinnst du??“

Glück gehabt!

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