Rainer Kolbe - Das Kind

 

230 Zwei Bierchen

Es war schon mal von der wundersamen Verbindung zwischen Bügelwäscheberg und Fußballgucken die Rede. Voraussetzung ist erstens ein nicht allzu spannendes Spiel, sonst verkokelt man sein Lieblingshemd, und zweites ein Bügelbrett mit seitlicher Mulde, die für das Bügeleisen gedacht ist, aber doch viel besser der Bierflasche bequeme Ablage bietet.

Wenn ich beim Fußballgucken bügel, stört mich meine Frau nicht mit seltsamen Ratschlägen bezüglich meiner Bügelmethoden. Beim letzten Mal, als sie aus Versehen beim Bügelfußball reinkam, meinte sie: „Schöne Trikots“.

Heute aber bin ich zu müde um gleichzeitig zu bügeln und zu gucken. Ich fürchte um mein Lieblingshemd und entscheide mich gegen das Bügeln und für das Spiel. Ich hole ein Bier aus der Kammer und sinke in den Fernsehsessel. Aus dem ich mich mühsam wieder hochrappel, um die Fernbedienung zu suchen, die natürlich nicht da ist, wo sie hingehört. Wo gehört sie hin? Richtig, in eine der Spielzeugkisten, denn sie ist nicht nur eine Fernbedienung, sondern auch das Telefon vom Ganzlütten.

Ich installiere mich erneut, auf dem Bildschirm wird noch gefachsimpelt. Gleich geht es los, ich nehme einen Schluck, die Tür klappt, mein großes Kind schleicht sich herein. Okay, es hat morgen keine Schule, soll es also länger aufbleiben. Fragen? Das Kind kuschelt sich an mich. „Kann ich mitgucken??“ Seltsame Frage, es handelt sich hier um Fußball. Willst du das etwa mitgucken? Es will offenbar. Bereitwillig rücke ich zur Seite.

Das Kind, holt sich eine Decke, hüllt sich ein, kuschelt sich an mich. Es hat ein heißes Gesicht nach einem Frühlingstag, es hat viel draußen gespielt, es ist eigentlich müde. Ich finde es sehr gemütlich: Das geliebte Kind, Fußball, ein Bierchen. Das Kind springt noch einmal auf und holt sich aus der Kammer ein Malzbier. Zwei Bierchen also.

Dann geht es los, zuerst das Spiel, wenige Sekunden später das Kind: „Papa??“ „Jaha?!“ „Ich hab’ noch eine Frage!!“, bemerkt es Kind überflüssigerweise. „Eine?“, frage ich erstaunt. „Na gut, die erste von dreiundzwanzig.“ Ehrlich ist das Kind ja. Also: Wer ist wer?? Wer ist der Trainer?? Warum hopst der so rum?? Wie viele Spieler sind es?? Warum gerade elf?? Was ist ein Abseits?? Wer ist der mit der Fahne?? Warum ist das Tor nicht viel größer?? Dann würden doch viel mehr Tore fallen, oder??

Immerhin fallen überhaupt Tore, das Spiel ist nicht uninteressant, auch fürs Kind nicht: Nach gefühlt dreihundertzwanzig Fragen pfeift der Schiedsrichter zur Pause, und ich bringe das Kind ins Bett. Die zweite Halbzeit vergeht dann ohne Fragen. Sie vergeht aber auch sehr viel mühsamer, das Spiel tröpfelt so dahin. Vielleicht war es vorhin auch schon so langweilig und wurde erst durch des Kindes Fragen interessant? Tore fallen keine mehr. Ich döse ein wenig.

Im Halbschlaf höre ich den Reporter reden. Was redet der da? Er spricht vom Einnetzen, vom Fuß hinhalten. Vom Leder und vom Schlappen. Vom System und von Gesetzen. Ich merke, wie aus meinem Halbschlaf ein Dreiviertelschlaf wird. Mit letzter Kraft stelle ich fest, dass mir das eine oder andere bekannt vorkommt: „Der nächste Tag ist immer der schwerste.“ Oder: „Er hält den Kopf wunderbar hin.“ Oder: „Der Tag ist rund und das Abendprogramm dauert 90 Minuten.“

Ich schrecke hoch: Das kommt mir bekannt vor! Nicht vom Fußball natürlich, sondern aus meinem echten Leben! Sollte es zwischen dem Fußballsport einerseits und dem Vatersein andererseits viel mehr Parallelen geben als nur die eine, dass Fußballer auch gute Väter werden können, nicht alle Väter aber gute Fußballer?! Ich beschließe, dieser Parallelität morgen auf den Grund zu gehen.

Und gehe schlafen.

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