Rainer Kolbe - Das Kind

 

235 Ohne Wenn und Dann

Neulich, am Frühstückstisch: Das große Kind versucht eine große Menge Nusskrem auf seinem Brot unterzubringen, ohne dass die Eltern es merken. Die Lieblingspastorin versucht von ihrem Plan von ihrem Tag zu berichten, ohne dass wir merken, dass sie eigentlich schon ganz woanders ist, und ich versuche schlau zu gucken, ohne dass jemand merkt, dass ich noch beim ersten Becher Kaffee bin und also gar nicht schlau gucken kann.

Dem kleinen Kind aber fällt sein Brot herunter, logisch: Mit der Nusskremseite nach unten! (Das ist übrigens tatsächlich logisch, wie mir Rangar Yogeshwar neulich erläutert hat – natürlich würde ich es jetzt auch Ihnen hier zusammenfassend erläutern, aber dafür reicht der Platz nun wirklich nicht aus!).

Jedenfalls fällt das Brot und das kleine Kind versucht gar nichts, sondern ruft: „Scheiße!“ Wir liebenden Eltern ermahnen es, doch nicht so gotteslästerlich zu fluchen. Sagt’s: „Wenn ich ‚Scheiße!’ sage, dann sage ich auch ‚Scheiße!’“

Da ist es wieder: Wenn – dann. Wenn du nicht dieses oder jenes, dann. Wenn du nicht sofort, dann. Wenn ich jetzt nicht endlich einmal in Ruhe, dann.

Neulich fiel mir der Gemeindebrief einer Nachbargemeinde in die Hände. Dort fand ich auch die nette kleine und bekannte Geschichte von dem Meister, den seine Schüler fragen, woher seine Ruhe und kontemplative Kraft kommen. Und er antwortet ihnen: „Wenn ich liege, dann liege ich; wenn ich sitze, dann sitze ich; wenn ich gehe, dann gehe ich; wenn ich esse, dann esse ich.“ „Aber“, entgegnen die Schüler, „das tun wir doch auch!“ „Nein“, sagt der Meister, „wenn ihr liegt, dann denkt ihr ans Sitzen; wenn ihr sitzt, dann denkt ihr ans Gehen; wenn ihr geht, dann denkt ihr ans Essen.“

Die Geschichte gibt es in den unterschiedlichsten Varianten, irgendwo gibt es wahrscheinlich auch ‚Wenn ich bügele, dann bügele ich. Wenn ihr bügelt, dann denkt ihr ans Fußballgucken’. Oder so ähnlich.

Allerdings: Die Hauptperson wechselt ständig. Mal ist es ein Zen-Meister, der gefragt wird, mal ist es ein „in der Meditation erfahrener Mann“. Mal ist es Thich Nhat Hanh, ein buddhistischer Mönch, mal ein „weiser Mann“. Manchmal ist es auch nur „ein Mann“. Aber nie ist es ein Vater.

Doch das ist ja auch klar!

Wenn ICH liege, kommt einer mit kurzen Beinen und will auf mir herumklettern und setzt sich auf meinen Bauch und ich bin ein Motorrad und eeeeeeh!! geht es in die Kurven. Dabei wollte ich eigentlich nur liegen.

Wenn ICH sitze, dann kommt mein großes Kind angelaufen und will auf den Schoß und bringt auch gleich ein Buch mit und will vorgelesen bekommen. Dabei wollte ich eigentlich nur sitzen.

Wenn ICH gehe, dann springt der Hund aus seiner müffigen Kiste und will unbedingt mit, worauf ich die Leine suchen muss und die Hundekackenotbeutelchen und dann entdecke ich bei Überstreifen des Halsbandes eine Zecke und suche auch noch die Zeckenzange, da ist der Hund schon durch die Tür raus und belästigt Passanten. Dabei wollte ich eigentlich nur gehen.

Und wenn ICH essen, dann kommen mindestens zwei und manchmal sogar drei und wollen etwas abhaben und krümeln mir die ganze, frisch gesaugte und gewischte Küche voll und finden mein Essen dann doch total eklig und warum habe ich schon wieder so komischen Käse gekauft?! Dabei wollte ich eigentlich nur essen.

Irgendwann aber ist’s Abend. Die Kinder sind im Bett und schlafen ruhig und träumen von schönen Dingen. Der Hund liegt ermattet vom Tagesschlaf in seiner müffigen Kiste und schnorchelt leise vor sich hin. Eine große Ruhe senkt sich auf mich. Da steht das Sofa. Halb zog es mich, halb sank ich hin. Da klappt eine Tür, meine liebe Frau. „Was machst du da?“ „Nichts!“ „Nichts? Wieso nichts?“

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