Rainer Kolbe - Das Kind

 

238 Das Abenteuer geht weiter

Dann also wurden die Kinder in Schwimmwesten gesteckt und die Boote zu Wasser gelassen! Es begann zu nieseln, an der nächsten Flussbiegung wurde der Niesel zu Regen, nach der übernächsten Biegung begann es kräftig zu regnen.

Nach einer Minute waren wir nass, nach fünf Minuten durchweicht. Ich kann sagen, dass ich ‒ außer im Freibad ‒ noch nie so nass gewesen bin wie an diesem Tag. Im Freibad ist es allerdings warm, verglichen mit diesem Tag und diesem Regen.

Immerhin: Nach einigen weiteren Biegungen ließ der Regen etwas nach, wir ruderten uns warm, fast fühlte es sich ein wenig trocken an. Dann setzte wieder Regen ein und alles begann von vorne.

Das Ganze wurde etwas dadurch erschwert, dass wir nicht sehr viel Übung hatten mit Kanu und Paddel. Die Koordination von links und rechts (Paddel) und hinten und vorne (Vater und Kind), das ferne und auf einmal wieder so nahe Ufer, überhängende Äste größerer Bäume, eine sehr niedrige Kuhbrücke ‒ all das erforderte unsere ganze Konzentration.

Ab und an wollte auch ein anderes Vater-Kind-Kanu mit deutlich geübterem Personal an uns vorbei. Irgendwann wurden wir dann nicht mehr überholt ‒ da wussten wir, dass wir die letzten Position eingenommen hatten.

All das hätte ganz unterhaltend sein können (nicht nur für Sie jetzt als Leserin und Leser, sondern sogar für uns auf und im und unter Wasser), wenn sich nach einem kurzen kräftigen Schauer am Horizont nicht ein Wolkengebirge aufgetürmt hätte, das sogar an einem solchen Tag auffallend finster war. Nach zwei Minuten grollte der Donner, ein Blitz zerriss den Himmel, und es begann zu schütten. Alles vorher war Geplänkel.

Es fügte sich, dass ein winziger Strand die Möglichkeit bot anzulegen, andere waren schon da. So suchten drei Väter und sechs Kinder Schutz unter einem schütteren Gebüsch, das Kind weinte auf meinem Arm laut vor Angst. Es schrie, dass es jetzt unbedingt nach Hause wolle ‒ Mut hin, Ausdauer her, Abenteuer egal. Ich verstand es. Ganz in der Nähe sollte eine Aussetzstelle für Kanus sein, das wurde unser neues Ziel. Und dann ab nach Hause.

Das Gewitter zog weiter, der Regen ließ nach. Wir schöpften eimerweise Wasser aus dem Boot, stiegen wieder ein, ein Sonnenstrahl traf uns, wir erreichten die nahe Aussetzstelle. Das Kind sah mich an, ich zog fragend eine Augenbraue hoch, das Kind schüttelte den Kopf und sagte „weiter!“.

Es gibt ‒ so ist für alle zu hoffen ‒ im Leben von Eltern und Kindern, von Vätern und Töchtern viele Momente, an denen Eltern stolz sind auf ihre Kinder, Väter stolz sind auf ihre Töchter. Dieses war ein solcher Moment in unserem gemeinsamen Leben, ein unvergesslicher.

Der Rest der Fahrt ist schnell erzählt. Der kleine Fluss mäanderte ohne Ende, es regnete hin und wieder, wir wurden nass und arbeiteten uns halbtrocken, das Kind begann zu singen: „Wenn du glücklich bist, dann fahre mit dem Boot, mit dem Boot!“ Und auch die Stromschnelle kurz vor unserem Ziel schreckte nicht, das Kind jauchzte vor Vergnügen.

Wir zogen das Boot an Land, entkleideten uns vollständig und zogen uns die angenehmerweise vollständig trocken gebliebene Kleidung aus der großen Bootstonne an. Abends gab es Spagetti satt, sogar die Sonne kam noch einmal raus. Wir krochen dann relativ früh in unser Zelt...

Doch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Am nächsten Morgen nämlich regnete es. Und es regnete und regnete und regnete. Die Wolkendecke zeigte keinerlei Struktur, kein heller Schein an irgendeiner Stelle ließ eine Aufheiterung erhoffen. Norddeutscher Dauerregen in Reinform. Schnell falteten wir das nasse Zelt in die nasse Tasche zu den anderen nassen Sachen. Und mussten feststellen: Gestern war das Wetter besser gewesen!

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