Rainer Kolbe - Das Kind

 

239 Mohnschneckenkuchen

Wenn man bei kräftigen Güssen nicht gerade zum Beispiel auf kleinen Flüssen mit dem Kanu unterwegs ist oder mit durchweichten Klamotten im Zelt hockt und kalte Spagetti isst - wie Sie in der letzten Woche schon lesen konnten - dann ist man drinnen und unter Dach und Fach wohlgeborgen.

Was aber ist dann zu tun? In Folge 201 wurde der kleine Kinderherd vorgestellt, ein echter Herd mit kleinem Backofen und kleinen Kochplatten, dazu gibt es echte kleine Töpfe und Pfannen - und all das auch noch von der Mutter übernommen, die als kleines Kind auf genau diesem kleinen Herd Nudeln kochte und ein Spiegelei in die kleine Pfanne zwängte.

Das Kind erinnert sich also an seinen kleinen Herd, und weil Floh gerade da ist, des Kindes Freundin von nebenan, soll nun also, tja, was denn? Soll gebacken oder gekocht oder gebraten werden? Sie wissen es nicht und grübeln, während ich den kleinen Herd hole und ans Stromnetz anschließe und allerlei väterlich-besorgte Ermahnungen auf die beiden herabregnen lasse, die an ihnen ungefähr so abtropfen wie Wasser an einer Ente.

Ich überlasse die beiden also dem Schicksal. Oder, um es präziser zu formulieren: Ich überlasse die Küche ihrem Schicksal. Denn dass sie in zwei Stunden eher renovierungsbedürftig aussehen wird, nachdem zwei Kinder darin ausgiebig gekocht haben, das scheint klar.

Nun haben wir durchaus einige Back- und Koch- und Bratbücher im Regal stehen. Muss man sich ausgerechnet die total zerfledderte 450-Seiten-Schwarte „Unser Backbuch No. 1“ aus dem Jahre 1984 greifen, wenn man nicht weiß, was man backen / kochen / braten soll... Daneben stehen Bücher wie „Kochen mit Kindern“ und so. Aber nun gut...

Es gibt Menschen, die beherzt zur Tat schreiten, sobald sie einen halbgaren Plan im Kopf haben. Und es gibt Menschen, die erst einmal das Kleingedruckte lesen. Ich gehöre zu letzteren, das Kind und seine Freundin zu ersteren. Ich hätte die abstrus lange Zutatenliste bemerkt und auch den Hinweis „braucht etwas Zeit“. Aber ich bin auch derjenige in der erweiterten Familie, der Bedienungsanleitungen aufbewahrt und sogar weiß wo. Langweiler!

Die Kinder fangen also ganz einfach von vorne an: „Das Mehl in eine Schüssel sieben und in die Mitte eine Mulde drücken. Die Hefe...“ Und so weiter. Das geht solange gut, bis man auf Zutaten stößt, die man nicht kennt. Kurze Zeit später klappt die Tür: „Haben wir ... “ und in der folgenden Stunde erscheint das eine oder andere Kind noch öfter bei mir und fragte nach frisch gemahlenem Mohn (sic!), nach einer unbehandelten Zitrone, nach ungeschälten Mandeln, nach Birnendicksaft. „Papa, was ist Birnendicksaft?“ Einmal reichen sie mir einen Zettel rein, das Wort im Backbuch kennen sie nicht und wissen auch die Aussprache nicht und schreiben es mir auf: „Haben wir dies hier?“ Orangeat. Nein, auch gerade nicht zur Hand. Immerhin weiß ich, wie man es ausspricht.

Zwischendurch behelligt Floh ihre Großmutter, die wohnt zwei Häuser weiter, aber frisch gemahlenen Mohn hat sie auch nicht. Da der Hefeteig sich aber nun schon ordentlich gehen lässt, gibt es kein Zurück. Die beiden behelfen sich mit anderen Dingen, nehmen direktgepressten Apfelsaft statt Birnendicksaft und haben großen Spaß. Und ist das nicht die Hauptsache?

Später kommt meine liebe Frau zufällig vorbei, erbarmt sich, hilft hier und da, und schließlich ist dann in Ermangelung von frisch gemahlenem Mohn und Orangeat so Art Gugelhupf draus geworden. Und schmeckt gut.

Übrigens: So sehr anders sah die Küche dann doch nicht aus. Die beiden haben sich wirklich Mühe gegeben - nicht nur mit dem Backen, sondern sogar mit dem Aufräumen und dem Abwaschen!

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