Das Kind
Erzählungen von Rainer Kolbe

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Folge dreiundzwanzig
Braves Skelett am Strand

Heute waren wir am Strand. Zwar noch in Gummistiefeln, wegen der Kälte, aber das wird schon noch. Aufregende Dinge gibt es zu entdecken, vieles zu erklären. Denn der Gefahren sind viele: die Tide, der Sturm, das Schwemmholz. Oh, da kann einem Vater angst und bange werden!

Jetzt aber neigt sich der Tag seinem Ende. Dem Vater fallen bald die Augen zu, höchste Zeit also, das Kind ins Bett zu bringen, damit wenigstens die Reihenfolge gewahrt bleibt. Je älter das Kind wird, um so mühsamer wird es für die Eltern, sich bis zum Ende wach zu halten.

Zur guten Nacht wird bei uns vorgelesen. Mal eine kürzere Geschichte, mal eine längere, mal mit Kirchen, mal mit Treckern. Und mitunter leider auch mit Conni. Conni ist eine brave, ziemlich langweilige Kinderbuchfigur, die brave, ziemlich langweilige Dinge erlebt. Die Idee der Buchreihe soll wohl sein, dass brave, ziemlich langweilige Kinder sehen, dass auch ihr Leben für die Literatur taugt. Kinder lieben Conni; auch eine Art Hilfeschrei. Heute also zur guten Nacht „Conni am Strand“:

Conni macht Sommerferien am Meer. Natürlich nicht Conni alleine: Auch ihre Mama ist dabei und ihr Papa. Und Fridolin nimmt Conni mit. Fridolin ist Connis neues Plastikkrokodil – riesengroß und grellgrün. („Lauter, Papa!!“) Conni freut sich: Heute wandern sie gleich nach dem Frühstück zum Strand. Ein ganz schön weiter Weg ist da – an dem rotweißen Leuchtturm vorüber und auf dem alten Holzweg durch die Dünen rauf und runter und wieder rauf und wieder runter. (gähn...) Bis endlich das Meer vor ihnen liegt, blau und grün und unendlich groß. „Gerade ist Ebbe. Da fließt das Wasser von der Küste weg. (gääähn...) Erst einige Stunden später kommt es zurück. Das nennt man Flut“, erklärt Papa. (was für ein langweiliger Kerl...) Dann machen es sich Mama und... Papa im Strandkorb... gemütlich (was für langweilige Eltern...). Conni läuft... nach vorne ans Wasser. Was es dort alles zu sehen gibt! Möwenfedern... („Papa??“) und Treibholz... und vor allem...

... ein Skelett! Conni wendet das Skelett mit der Fußspitze. Der Krebs darunter erwischt sie voll am linken Fuß, zwei Zehen sind ab. Conni schreit auf und rennt in ihrer Panik ins viel zu kalte Wasser (endlich Action!). Conni fällt. Eine Welle rollt heran, Schluss mit Ebbe!, Conni bekommt ein Stück Treibholz an den braven Schädel. Schnell zieht der Sturm heran, die Wogen wogen immer höher, die Unterströmung zieht Conni aufs Meer hinaus (cool!). Papa steht fern am Ufer und weint bittere Tränen (Schwächling!). Zwei Kraken ziehen an Connis Beinen, doch der Hai hat schon Witterung aufgenommen. Am Horizont taucht kurz das Boot der DGzRS auf, aber zu spät, der Hai naht schnell. Das Boot der Retter kentert, zerschlagen von einer einzigen machtvollen Welle. Da ist der Hai heran, er reißt den Rachen auf, um Conni zu verschlingen...

Aaaah...!! Ich schrecke hoch. Wo bin ich? Im Kinderzimmer. Sollte ich tatsächlich beim Vorlesen eingenickt sein? Das Kind neben mir schnarcht leise und ruhig in seinem Bettchen. Meine Güte! Ich habe keine Ahnung, bis wohin ich das Buch vorgelesen habe. Ob ich meinen Traum laut erzählt habe?

Ich werde es beim Frühstück erfahren. „Papa? Weißt du wahas? Ich hatte einen ganz tollen schrecklichen Traum!!“

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