Rainer Kolbe Das Kind

 

240 Männer können das gut!

Bei uns ist ja die Rollenverteilung etwas anders. Nun ja  anders als was, anders als bei wem? Die Frau verdient den größeren Teil des Geldes, ist die Haupternährerin der Familie, ich bin der Nebenernährer. Hat sich vor langer Zeit einmal so ergeben. Kann man mit leben, stört mich meistens nicht. Hab auch so genug zu tun!

Wie erlebt das Kind dieses Anderssein? Wie sieht es überhaupt bei anderen aus? Ich flöte mein großes Kind herbei und frage es, wie das so bei den Mitschülern geregelt ist. Flohs Eltern betreiben eine Gastwirtschaft gemeinsam. Tatis Mutter ist zuhause drei Kinder, ein großes Haus, ein Tageskind dazu. Nunus Eltern arbeiten beide – in wechselnden Teilzeiten. Lüdias Mutter ist zuhause – kümmert sich aber um drei Ferienwohnungen, ist also im Sommer Haupternährerin.

Längst hat jede Familie ihre eigene Rollenverteilung gefunden und entwickelt und wird sie weiter entwickeln. Anders als andere? Alle sind anders!

Ich schmeiße das große Kind aus meinem Arbeitszimmer, weil ich diese tiefschürfenden Gedanken und Erkenntnisse zum Thema der Woche in Form und Fassung bringen möchte. Das Kind hüpft von dannen. Drei Minuten später hüpft es wieder herein. „Papa!! Kannst du mal bitte ganz schnell...!!“ Dass ich arbeiten möchte, stört das Kind nicht.

Es hüpft viel seltener in das Arbeitszimmer der Mutter als in meines. Liegt das eben doch daran, dass die Mutter die Hauptverdienerin ist und also irgendwie wichtiger? Oder ist die Mutter strenger, wie der Haupternährer eben immer strenger war und ist und sein wird? Nein, es liegt ganz schnöde daran, dass mein Arbeitszimmer das nächstgelegene ist, vom Kinderzimmer aus betrachtet. Wenn des Kindes Tesafilmabroller abgenudelt ist, muss es eben schnell gehen mit dem Nachschub.

Dennoch, bei der einen oder andere Sache hüpft das große Kind lieber zur Mutter als zum Vater. Manches können Mütter viiiel besser. Ist mir recht, denn ab und an finde ich es auch ganz bequem, in klassisches Rollendenken zu fallen. Ich denke dabei nicht an Lappalien wie Bügeln oder das ökonomisch und ökologisch sinnvolle Befüllen der Geschirrspülmaschine – das können sowieso nur Männer!

Ich denke an das Kämmen langer Haare wilder Mädchen. Und da mein wildes Mädchen gerne lange Haare hat und am liebsten hüftlange hätte, müssen sie natürlich nicht nur wachsen, sondern auch gewaschen und gekämmt werden.

Es ergab sich aber unlängst, dass die Mutter des Kindes für fünf Tage in Dresden war. Und wenn ein wildes Mädchen nicht komplett verzotteln will, muss es mit der Bürste zum Vater, ob es will oder nicht. Ob er will oder nicht. Nach fünf ungekämmten Tagen bliebe sonst nur der Gang zum Friseur, der dann mit der Schere kämmt, und das geht natürlich nicht, wenn man einmal hüftlange Haare haben will.

Wir seufzten beide und fügen uns in unser wechselseitiges Schicksal. Das Kind klagte über väterliche Brutalität beim Kämmen, ich fragte das Kind, warum es sich nicht eigentlich selbst kämmen könne, und irgendwann sah das Kind halbwegs gekämmt aus und war mit einem Zopf ausgestattet, der seine Herkunft von eher ungeübter Hand zwar nicht leugnen konnte, zumindest aber nach Zopf aussah und halbwegs stabil war. Fünf Tagen später waren wir deutlich weniger ungeübt.

Natürlich kämmt die Mutter nach wie vor viiiel sanfter und natürlich sieht bei ihr der Zopf viiiel zopfiger aus. Insgeheim frage ich mich aber, wie zufrieden das Kind ist mit meinen neuen Künsten? Am Abend mache ich die Probe: Die Tür klappt, da steht das Kind mit der Bürste in der Hand. „Papa!! Ich komm’ nicht durch!! Kannst du mich mal eben kämmen??“ „Oh neee... ich kann das nicht! Geh zu Mama! Männer können das nicht!“

Da lächelt mein Kind milde und wissend: „Männer können das guuut!!“

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