Rainer Kolbe Das Kind

 

241 Aufräumen vor den Ferien

Morgen geht es in den Urlaub, da heißt’s auch noch aufräumen im Hof. Muss ja nicht so aussehen, wie es aussieht. Das große und das kleine Kind tüdeln irgendwo herum, aber ich habe klar gesagt, dass nicht wieder der halbe Schuppen ausgeräumt wird. Sonst komme ich ja gar nicht hinterher mit dem Aufräumen, bevor wir abfahren. Nicht dass nachher jemand auf die Idee kommt, schon mal ein wenig loszufahren. Ach, Papa, der räumt noch... der kommt bestimmt nach...

In einer Ecke liegt eine selbst gebastelte japanische Fahne. Damals, als Japan Fußballweltmeisterin wurde. Ich erinnere mich...

Nunu ist zu Besuch. Eben jene Nunu, die weltbeste Freundin aus der alten Schule, Monate hatten die Kinder einander nicht gesehen. Ausgerechnet heute aber ist Nunu zu Besuch, ausgerechnet heute ist das Fußballweltmeisterschaftsendspiel Japan gegen die USA. Nunus Großmutter ist Japanerin. Heute sind wir alle für Japan.

Das Abendessen ist fast Nebensache. Laut wird geschnattert und gefachsimpelt. Schnell räume ich den Tisch ab, schon geht es los, der Ball rollt. Ich habe das Bier rechtzeitig kalt gestellt und verteile die Flaschen. Wettrülpsen mit Malzbier.

Spannende erste Halbzeit. Mittelgroße Vorteile für die USA. Ich beobachte die beiden Kinder beim Beobachten des Spiels. Mittelgroße Vorteile für Nunu, sie hat zwei ältere Brüder und also erweiterte Kenntnisse. Dafür folgt mein Kind dem Geschehen auf dem Rasen aufmerksamer als die Freundin. Als die Kamera über die Tribüne schwenkt, ruft das Kind „Papa, da ist Nadine!!“ Ja, stimmt, jetzt erkenne auch ich Frau Angerer, trotz des Hutes. Mein Kind hat auch erweiterte Kenntnisse!

Halbzeit. Kein Tor gefallen bisher, aber das tut der guten Stimmung kein Abbruch. „Papa, hast du dünne Stäbe?? Große, lange?? Wir wollen Fahnen basteln, japanische Fahnen!!“ Also gehen die beiden noch in den Schuppen, wühlen in der Wanne des Grauens (siehe Folge 196), finden passende Rundstäbe. Die werden zersägt, dann werden Fahnen auf Papier gemalt, alles wird mit ungefähr zwei Rollen Tesafilm in Form gebracht.

Die zweite Halbzeit beginnt. Die Kinder schwenken ihre Fahnen und jauchzen. Und endlich fällt auch ein Tor. Leider für Amerika. Nun gut, die Kinder sollen ‒ Ferien hin, Ferien her ‒ auch nicht zu spät ins Bett. Morgen ist auch noch ein Tag, der heutige war anstrengend genug und so weiter. Wie Erwachsene eben so denken, wenn sie selbst müde sind.

Ja, wir Eltern hängen müde im Sessel. Zwar wissen wir ein spannendes Spiel engagierter Sportlerinnen durchaus zu schätzen, sind aber auch der Meinung, dass neunzig Minuten dafür ausreichen sollten. Kurz vor Ende der regulären Spielzeit erzielt Japan den Ausgleich ‒ oh nein, es gibt eine Verlängerung! Die Mädchen schwenken begeistert ihre Fahnen. Wieder gehen die USA in Führung. Kurz vor Ende der Verlängerung erzielt Japan den Ausgleich - oh nein, es gibt Elfmeterschießen! Die Mädchen schwenken begeistert ihre Fahnen.

Dann folgt noch die Siegerinnenehrung. Musik, Medaillen, goldene Schuhe und tonnenweise goldener Flitter, der in die Luft gepustet wird und überall im Stadion herabregnet. „Papa, weißt du was?? Ich wäre gerne jetzt eine von den japanische Spielerinnen!! Weißt du auch warum??“ „Nein, warum denn?“ Ich denke an Ruhm und Ehre und Freude und Geld. Aber kein Gedanke. „Weil ich dann ganz viele von den goldenen Schnipseln aufsammeln würde. Die kann man sooo gut gebrauchen zum Basteln!!“

Am nächsten Morgen jubeln die beiden noch weiter, schwenken die Fahnen im Garten ‒ bis sie anfangen, sich mit den Fahnen ein wenig zu hauen in aller Freundschaft, bis sie ihre Fahnen in eine Ecke werfen und ins Haus laufen.

Vergänglicher Ruhm. Unvergänglich aber ist die Freundschaft der beiden Mädchen, die einander so lange nicht gesehen haben und gleich wieder allerbeste Freundinnen sein können. Möge es so bleiben!

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