Rainer Kolbe Das Kind

 

249 Ein echtes Holzpferd

Ich kaue ein wenig auf dem Bleistift (was natürlich gar nicht stimmt, weil ich nicht mit dem Bleistift schreibe) und überlege, wovon mein nächster Kolumnenbeitrag handeln könnte. Ich habe zwei Ideen, aber die sind noch unausgereift, unausgegoren. Diese Woche nicht, das geht vielleicht nächste Woche.

„Meine liebes Kind!“, flöte ich mein liebes Kind herbei, „sag, worüber soll ich schreiben?“ Das Kind liest mittlerweile die Kolumnen, die ich über es verfasse. Darum hat es ein gewisses Mitspracherecht. Nur ein gewisses natürlich, ich lass mir das Heft nicht aus der Hand nehmen. Das Kind muss überhaupt gar nicht überlegen: „Schreib über mein Holzpferd!!“ Eine glänzende Idee. Wieso bin ich darauf noch nicht selbst gekommen?!

Vielleicht hatte ich beiläufig schon erwähnt, dass sich das Kind für Pferde interessiert!? Für echte Pferde genauso wie für Pferdebücher, Pferdeposter, Pferdezeitschriften und das einmalige Umhängepferd.

Ja, und im Vorgarten liegt ein dickes Stück von einem Baumstamm: Aus dem hätte ein Pferd werden sollen und können, ich berichtete Anfang des Jahres darüber. Als der Schnee sich verzog und das Kind quengelte und jammerte, frug ich einen guten Freund, der sich mit Holz auskennt und zudem im Schuppen hinter seinem Haus einigermaßen schweres Gerät hat. Der besah den Koloss in unserem Vorgarten, wiegte das Haupt und machte Sicherheitsbedenken geltend. Beklagte seinen kümmerlichen Maschinenpark. Sah gequetschte Kinderbeine. Riet ab.

Das Kind aber wusste sich zu helfen. Es „lieh“ sich einen simplen Holzbock von uns aus, hämmerte mit Lust, Leidenschaft und zweiundvierzig Nägeln ein kleines Brett darauf und eine lange Latte (Hals) und eine kurze Latte (Kopf) daran ‒ und hatte ein wunderbares Spielpferd im Garten stehen.

Ich wurde gebeten, die Ecken und Kanten mit der Schleifmaschine ein wenig zu bearbeiten und wies das Kind kurzerhand in die Bedienung des Geräts ein ‒ wieder etwas gelernt.

Im Schuppen installierte das Kind in der Folgezeit noch eine Pferdebox, in dem es eine alte Palette hochkant stellte und mit Bild und Schild verzierte: „Reiterhof“. Aus einem alten Sandkistenförmchen wurde eine Trinkschale, der Hals des Pferdes wurde mit Bändern verziert, Schweif, Zügel und Halfter wurden gebastelt. Und wenn das Wetter schön ist ‒ oder sagen wir: halbwegs erträglich ‒, dann wird das Holzpferd aus dem Schuppen geholt und in den Garten geführt, es wird gestriegelt und mit dem Heu gefüttert, das eigentlich für ein lebendiges Meerschweinchen gedacht war, aber nun gut. Höhepunkt des Spiels ist das abschließende Auskratzen der vier Hufe. Angenehmer Nebeneffekt der eher hölzernen Art dieses Pferdes: Der Garten ist absolut pferdeapfelfrei.

Von der Idee, aus dem dicken Stamm im Vorgarten ein Pferd, nun ja, zu basteln, ist schon lange nicht mehr die Rede. Der Stamm dient mittlerweile dem kleinen Kind für allerlei Experimente mit Hammer und Bohrer. Auch sitzen hier ab und zu Großmütter und betrachten wohlgefällig die Enkel beim Spiel, beispielsweise beim Striegeln eines Holzpferdes.

Bei aller Wohlgefälligkeit: Ein Holzpferd ist kein echtes Pferd! Das echte Pferd steht im echten Stall: Die Voltigierstunde wurde gerade auf Donnerstag verschoben, 17 bis 18 Uhr. An sich kein Problem, das Kind ist kein kleines Kind mehr und darf auch am späten Nachmittag Sport treiben. Danach gibt’s eine Dusche gegen Pferdemief, das Abendbrot ‒ und dann ab ins Bett.

Da klappt eine Tür. „Papa!! Wann rufst du endlich bei dieser Trainerin an, ich will Fußball spielen!!“ Ich greife zum Telefon, rufe die Trainerin an, zwei Dörfer weiter, nette Frau, ja, klar, gerne, Fußball für Mädchen ist immer donnerstags um 17 Uhr...

Aber das haben wir auch hinbekommen. Doch das ist eine andere Geschichte...

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