Rainer Kolbe Das Kind

 

250 Ganz laut pfeifen

Gemeinhin versuchen wir unsere Kinder zu beschützen vor den Katastrophen dieser Welt, wir behüten sie, so gut es eben geht. Mitunter lege ich die Tageszeitung mit der Sportseite nach oben, wenn die Titelseite mal wieder nicht kindertauglich ist ‒ auch wenn das bei einem großen, achteinhalbjährigen Kind zunehmend albern ist. Aber da ist ja auch noch das kleine Kind ‒ mit dreieinhalb Jahren in einem Alter, in dem alles gefragt und alles erklärt werden muss.

Abends aber ist alles anders. Abends wird nicht beschützt und nicht behütet, da suchen uns die Katastrophen heim. Damit meine ich jetzt nicht den ganz normalen familiären Wahnsinn zwischen achtzehn und zwanzig Uhr, sondern Feuersbrünste, Überschwemmungen, von umstürzenden Bäumen zerquetschte Autos, von orkanartigen Böen abgedeckte Dächer.

Abend für Abend wählt das kleine Kind sein Lieblingsfeuerwehrbuch als Gute-Nacht-Lektüre. Feuerwehrkinderbücher lassen kaum etwas an Realismus vermissen: Da raucht und brennt es, da werden Menschen von Dächern geholt, Tiere aus reißenden Flüssen gerettet. Das kleine Kind lernt etwas über die vielfältigen Aufgaben der Feuerwehr schräg gegenüber, und der vorlesende Erwachsene lernt schöne Wörter wie Rettungsspreizer, Hohlstrahlrohr und Schwimmsperrenanhänger. Irgendwann schläft das Kind dann beseelt lächelnd ein.

Szenenwechsel. Vor ein paar Tagen war ich auf dem Dachboden, irgend etwas suchen. Während ich hier und da kramte, beschlich mich ein ungutes Gefühl. Irgend etwas war ‒ anders ‒ seltsam ‒ war da jemand? ‒ ein Geräusch...

Ich war ganz still und hielt die Luft an. Ich hörte mein Herz klopfen ‒ und ich hörte ein ganz feines, fieses Piepen. Was mochte das sein... ich kramte und wühlte und stieß ganz hinten in einem wirklich ganz vergessenen Karton auf einen Rauchmelder aus unserer alten Wohnung! Die Batterie war fast leer, und sinnvollerweise machen diese Geräte sich bemerkbar, wenn sie am Verenden sind.

Das große Kind weiß, wozu Rauchmelder gut sind. Seit unserem Einzug in das neue Pastorat fragt es, wann denn unsere Wohnung mit Rauchmeldern ausgestattet werde. „Bald, mein Kind, bald.“ Die Frage verschwindet, kommt aber in regelmäßigen Abständen wieder, was nur zeigt, wie wichtig sie ist. Denn das Kind hat Angst vor Feuer und möchte sich geschützt wissen.

Vorgestern aber kam der Mann von „Elektro Dingens“. Der sollte nun im Auftrag des Kirchenkreises das Pastorat mit Rauchmeldern ausstatten. Denn in Schleswig-Holstein wurde 2004 ein Gesetz rechtskräftig, das für alle Altbauten bis Ende 2009 die Nachrüstung mit Rauchmeldern vorschreibt: in Schlaf- und Kinderzimmer und in allen Fluren, die als Rettungswege dienen. Aber das nur am Rande.

Der freundliche Mann handwerkerte in Schlaf- und Kinderzimmer und in den Fluren, die als Rettungswege dienen könnten, und versah die Decken mit Rauchmeldern. Er erläuterte mir kurz, wie man einen Batterie-Test durchführt (ziemlich schrill). Und dass die Batterien sich bemerkbar machen, bevor sie verenden. Das wusste ich aber schon.

Nun hängen sie also an der Decke, ganz unscheinbar, und müssen, so Gott will und wir hoffen, niemals funktionieren. Da kommt das große Kind aus der Schule nach Hause und trabt in sein Zimmer. Das Kind hat einen Blick für unscheinbare Dinge. „Papa!! Was ist das??“ „Das sind Rauchmelder.“ Ich erläutere einmal mehr Funktion, Bedeutung, Aufgabe und alles.

Das Kind sieht die Rauchmelder an, es sieht mich an ‒ mit gerunzelter Stirn und sorgenvoller Miene. Theorie und Praxis sind zwei sehr verschiedene Dinge. Eigentlich kann das Kind sich jetzt viel sicherer fühlen als bis gestern noch. Schließlich wachen die Rauchmelder rund um die Uhr über unsere Atemluft. Doch die bloße Existenz der unscheinbaren Geräte erinnern uns daran, dass es brennen könnte.

Vor Feuer hat das Kind Angst. Wir machen den Batterietest und lassen es ganz laut pfeifen! 

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